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Canale Mussolini

Canale Mussolini

Titel: Canale Mussolini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pennacchi Antonio
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summ , als hätten sie nichts gehört.
    Sie wurde wütend: »Ich hab gefragt, ist er tot oder lebendig?«
    » Summ … summ … summ … , weder tot noch lebendig«, sagten sie: »Vermisst.« Und flogen seltsame Figuren.
    »Ja, fahrt doch zur Hölle, ihr!« Wie Sie wissen, gibt es nichts Schlimmeres als eine derartige Situation, denn was einen Menschen zerstört, ist nicht das Unglück an sich, sondern die Ungewissheit und vor allem die Erwartung des Unglücks. Dem Unglück kann man begegnen, und danach steht man irgendwie wieder auf. Aber wenn es nicht eintritt, immer nur erwartet wird, wie soll man da je wieder aufstehen? Das ist wie bei den Toten im Meer, den Nichtbegrabenen, die man nicht mehr findet, und die Angehörigen wissen nicht, wohin sie sich wenden sollen. Wenn der Ertrunkene nicht wieder an Land kommt, sieht man seinen toten Körper nicht und wird ihn nie sehen, seinen Leichnam, man kann ihn nicht bekleiden, kann ihm kein Geldstück mitgeben, kann ihn nicht ins Grab hinablassen und dieses zuletzt mit einem Stein verschließen. Er ist weder tot noch lebendig, ist nirgends zu Hause, hält sich in der Zwischenwelt auf – noch diesseits des Acheron –, und vergebens ruft er Charons Nachen hinterher: »Setz mich über, bring mich ins Jenseits.« Und diese Pein wird einen immer begleiten, jeden Tag des Lebens, bis man selbst aufbricht und seinen Lieben unter den schreienden Seelen der Unbegrabenen findet und endlich zu ihm sagen kann: »Hier bin ich! Gib mir die Hand und wir setzen gemeinsam über, ich habe für beide den Obolus dabei, den wir Charon entrichten müssen.«
    Ich weiß nicht, ob Onkel Iseo unsere Antwort bekommen hat, worin wir erklärten, dass wir auch nichts von Onkel Pericle wussten; wenn er nichts wusste, so Onkel Adelchi, woher sollten dann wir etwas wissen? Jedenfalls hat er ihn mit keinem Wort mehr erwähnt, in den wenigen Nachrichten – immer Postkarten »P.   W.-P.   O.« –, die wir bis 1945 von ihm erhielten. Er erbat Neuigkeiten von allen, nur nach Onkel Pericle fragte er nicht mehr. Erwähnte ihn nie mehr, weder im Guten noch im Bösen. Armida ja. Jedes Mal erkundigte er sich voller Anteilnahme nach ihr und nach den Kindern. Über Onkel Pericle nicht ein Wort, und jedes Mal, wenn ein Brief oder eine Karte aus Kenia eintraf und einer sie sofort laut vorzulesen begann und man dann zu der Stelle kam, wo er nach Armida und den Kindern fragte – aber nie ein Wort über den Ehemann verlor –, fing sie an zu weinen. Nun ist klar, je mehr Zeit verging, umso mehr schwand die Hoffnung, auch wenn sie und Großmutter nie aufgehört hatten zu hoffen. Sie beteten, und ab und zu fragte sie ihre Bienen: »Aber ist er tot oder lebendig?«
    »Aaah Armida! Summ … summ … summ …, weder tot noch lebendig, stopp.«
    Onkel Iseo kam im Spätherbst 1945 aus der Gefangenschaft zurück. Onkel Temistocle und Onkel Adrasto hatten auf einigen eben von Minen geräumten Feldern Weizen ausgesät und waren dabei, den Boden zu eggen, um das Saatgut sorgfältig zu bedecken. Er kam vom Canale Mussolini. Die Brücke war nicht mehr da – sie war sofort gesprengt worden, ich weiß nicht, ob von den Deutschen oder den Amerikanern, gleich am Tag der Landung in Anzio –, und er benutzte den Steg, der oberhalb des Beckens angelegt worden war. Er kam auf dem Uferdamm näher, und als er sie sah – sie hatten ihn gar nicht bemerkt –, rief er: »Heeedaa …! Peruzzi!«
    Meine Onkel stutzten beim Klang dieser Stimme – »Iseo?«, fragten sie gleichzeitig –, ließen Ochsengespann und Egge stehen, drehten sich um und liefen dem entgegen, der seinerseits schon lief, stolperte und vom Damm herunterrollte, wieder aufstand und weiterlief, bis sie ihn mit einem »Bruder!« in die Arme schlossen.
    »Meine Brüder!«, entgegnete er.
    Und während Onkel Adrasto kehrtmachte und wie ein Besessener nach Hause rannte – »Iseeo, Iseeeo … Iseeeo ist wieder da«, brüllte er dabei –, lief Onkel Iseo hingegen, sobald er sich aus der Umarmung und von den Tränen Onkel Temistocles gelöst hatte, nicht gleich zur Mama, zu Frau und Kindern, sondern ging aufs Feld, zu den Tieren, zur Egge, umarmte die Tiere und weinte an ihrem Hals; das Gesicht zwischen den beiden Ochsen, zog er sie zu sich heran und streichelte sie, und noch mit seinem Bündel über der Schulter packte er die Egge beim Schaft, rief »Hoo!« , und die Ochsen zogen an und er eggte. Aber nach ein paar Schritten rief er »Brrr!« , ließ den Schaft los, die

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