Canale Mussolini
Füllung für die Cappelletti vorzubereiten, hatte ihnen eben den Hals lang gezogen und ihn fest in einer Schublade eingeklemmt, damit im krampfhaften Zucken der Flügel das letzte Leben aus ihnen wich, bevor sie daranging, sie zu rupfen –, da sagte sie zu meinem Großvater, der die Treppe herunterkam: »Ich hab heute Nacht von einem schwarzen Mantel geträumt.«
»Aber geh doch zur Hölle, du mit deinem schwarzen Mantel, du böse Unke«, antwortete Großvater, aber er sagte es sanft und nicht wütend und fasste sie dabei um die Schultern, schon Tränen in den Augen, weil auch er sich wegen all der Söhne sehr grämte, die überall in der Welt verstreut waren, vor allem aber wegen der zwei in Afrika, Pericle und Iseo.
Die Hühner in der Hand, schob sie ihn beiseite: »Ich hab zu tun«, und fuhr fort in ihrer Arbeit. Sie legte im Kaminfeuer Holz nach, prüfte mit der Hand die Wärme des Wassers im Kessel, brachte für das allgemeine Frühstück Gerste und Milch zum Kochen, und schließlich rupfte sie die beiden Hühner.
Sobald sie nackt waren, nahm sie einen Augenblick den Kessel vom Feuer, schürte das Feuer auf und hielt die Hühner von allen Seiten über die Flamme – um die restlichen Federkiele zu versengen, was einen scharfen Geruch erzeugte –, dann nahm sie sie aus: schnitt ihnen den Hals ab, öffnete sie und nahm die Innereien heraus. Dann schnitt sie jedes von beiden zu einem großen, runden Stück zu, und das kochte sie. Dann andere Verrichtungen, und als um zehn Uhr die Suppe fast fertig war, verknetete sie Mehl mit darin aufgeschlagenen Eiern und rollte den Teig mit dem Nudelholz in alle Richtungen dünn aus. Als die Hühner gar waren, nahm sie sie heraus, entbeinte sie und schnitt das Fleisch mit dem Messer auf dem Schneidbrett klein. Einen Cotechino und eine Salami hackte sie mit darunter. Sie gab etwas Petersilie, Kräuter und Muskatnuss dazu, verrührte alles mit ein oder zwei Eiern, und fertig war die Füllung. Die Kinder standen drum herum und warteten.
Sie nahm eine der Teigplatten vom Backtrog, wo sie sie zum Trocknen aufgehängt hatte, und breitete sie auf dem Tisch aus. Noch etwas Mehl darübergestreut, dann teilte sie den Teig mit einem spitzen Messer in lauter kleine Quadrate, indem sie ihn zunächst senkrecht vom einen Ende zum anderen in lange Streifen schnitt, dann waagrecht. Wie ein Schachbrett. Auf jedes Quadrat setzte sie ein Häufchen der Füllung, dann sagte sie: »Los!«, und alle Kinder machten sich eilig daran, die Quadrate eins nach dem anderen über der Füllung zu schließen, bis der Tisch bedeckt war von lauter kleinen Hütchen, mit der Wölbung der Füllung in der Mitte und breiten Krempen an den Seiten. Die Cappelletti zu Weihnachten und Ostern waren ein Ritual – es war kein Ostern oder Weihnachten, wenn es keine Cappelletti gab –, und für die Kinder war das ein Spaß, denn es war Brauch, dass einer irgendwo einen Knopf mit in die Füllung tat. Am nächsten Tag dann, an Weihnachten, erwartete man mit Spannung, wer daraufbiss und »Aua!« schrie, dann lachten alle. Großvater verlor auf diese Weise seinen letzten oberen Zahn. Er landete in seiner Hand, als er ihn zusammen mit dem Knopf ausspuckte. Einmal – das war aber schon nach dem Krieg, ich war als Kind dabei – steckten wir viele Knöpfe hinein: »Wirst sehen, was für ein Spaß.« Von wegen, Sie machen sich ja gar keine Vorstellung, wie viel Schläge man uns verpasst hat: »Einen einzigen muss man hineintun, nur einen!«
»Aber warum denn nur einen?«, fragten wir.
»Deswegen!«, und wieder Schläge. Einen einzigen. Nicht mehr. Bei einem muss man lachen, viele bringen Schläge, denn ein einziger erinnert die ganze Gemeinschaft daran, dass heute Weihnachten ist und man nach Herzenslust essen kann, aber Achtung: Das Unglück liegt immer auf der Lauer, nichts ist umsonst auf dieser Welt, und in jedem Fall ist morgen schon nicht mehr Weihnachten, dann ist wieder das wirkliche Leben, morgen, voller Leid und Entbehrungen, mit viel Hunger und wenig Wein. Das ist es, wozu dieser Knopf gut ist. Aber nur einer. Nicht zu viele. Zu viele verderben auch Weihnachten.
Es mag elf Uhr gewesen sein, jenes Mal, als man ein Klopfen an der Tür vernahm. »Ist’s gestattet?«
Es war Don Orlando, der venetische Pfarrer von Borgo Podgora, und Großmutter sagte: »Herein, kommen Sie nur herein, Hochwürden, essen Sie mit uns?«
»Nein, ich bin nur gekommen, um einen Brief zu überbringen.«
In Wirklichkeit war das eine
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