Canale Mussolini
Postkarte, auf der in großen Lettern » P. O .« stand – für post office – und » P. W .«, prisoner of war . Sie war über den Vatikan zu ihm gelangt, über das Päpstliche Hilfswerk, das mit dem Internationalen Roten Kreuz zusammenarbeitete. Sie kam – wer weiß, auf welch verschlungenen Wegen – aus Kenia.
Sie war von Onkel Iseo, der erzählte, er sei verwundet worden, jetzt aber gehe es ihm gut, er sei genesen und in einem englischen Kriegsgefangenenlager. Er wollte Nachricht von allen, von zu Hause und seiner Familie und von allen Brüdern, die im Krieg waren: Temistocle, Treves, Turati und von seinem Neffen Paride. Zum Schluss aber, schon nach den Grüßen, bat er auch um Nachricht von Pericle: »Verbindung zu Bruder Pericle verloren, gebt mir Nachricht von ihm.«
»Uns fragt er da?«, kreischte am Abend Onkel Adelchi, als er nach Hause kam: »Er ist dort bei ihm, und von uns will er Nachricht haben?«
»Und ist das jetzt Schuld von meinem Iseo?«, rief Zelinda, dessen Frau, und brach in Tränen aus, die Kinder um sich geschart. Armida – die Frau von Onkel Pericle, die schon seit einer Weile wieder bei den Peruzzi lebte – nahm sie in den Arm: »Aber nein, was sagst du denn da? Danken wir Gott, dass der Deine wenigstens am Leben ist.«
»Auch der Deine ist am Leben«, rief Großmutter, aber mit düsterer Miene, mit der Miene dessen, der ganz und gar nicht ruhig ist.
Und ruhig war mittlerweile keiner mehr, bei den vielen von uns, die in der Welt unterwegs waren und denen jeden Augenblick etwas zustoßen konnte, denn Krieg ist Krieg, und bekanntlich kommt im Krieg immer wieder mal einer um (auch wenn uns Italienern das nie so recht eingeleuchtet hat, und jedes Mal, wenn wir Leute wohin schicken, sei es in den Kongo, in den Irak oder auf Pluto, und einer stirbt, schreien wir sofort: »Au Scheiße, ausgerechnet auf uns haben sie geschossen, diese feigen Mörder, wo wir doch nur Frieden bringen? Gehen wir nach Hause! Gehen wir nach Hause!«).
Aber solang ihnen nichts zustieß, waren wir relativ ruhig – »Wenigstens ist er am Leben, alles Übrige liegt in Gottes Hand« –, und auch über Onkel Iseo, der jetzt Kriegsgefangener war, waren wir völlig beruhigt: »Er ist Gefangener, aber am Leben und in Sicherheit; er mag leiden, aber früher oder später kommt er zurück, denn er muss ja nicht mehr in die Schlacht.« Aber der andere, Pericle, Gott allein weiß, wo der abgeblieben ist.
Da begann die bange Unruhe der Peruzzi. Ein Hin und Her, um hier und da zu fragen: beim Distrikt in Littoria, beim Fascio, bei der Miliz, beim Roten Kreuz, bei Don Orlando in Podgora, bei Don Federico in Borgo Carso und dann mit beiden beim Bischof von Velletri. Und dann auch zu Rossoni in Rom, der nichts mehr zählte und dem man als Entschädigung das Präsidentenamt in den Agrarkonsortien und den Sitz im Faschistischen Großrat gelassen hatte, denn den berief der Duce ohnehin schon seit einer halben Ewigkeit nicht mehr ein: »Das mach ich alles allein, was zum Teufel zählt denn der Großrat?« Rossoni seinerseits ging zu einem Freund im Kriegsministerium, der ihm geblieben war. Aber nichts, Onkel Iseo tauchte in den Gefangenenlisten auf – gelegentlich tauschte man sich die auch unter verfeindeten Heeren aus, über den Vatikan und das Rote Kreuz –, Onkel Pericle dagegen erschien nirgendwo, auf keiner Liste, weder einer englischen noch einer italienischen, weder unter den Gefangenen noch den Toten oder Verwundeten. Nirgendwo. Vermisst.
»Was heißt denn das, vermisst?«, fragte Großmutter Onkel Adelchi.
»Vermisst! Dass man nicht weiß, wo er abgeblieben ist. Er kann tot sein oder lebendig.«
»Aber mehr tot als lebendig?«
»Je nachdem! Man weiß es nicht. Es kann sein, dass er irgendwann auftaucht.«
»Und das kommt vor?«
»Manchmal, Mama«, aber er wusste selbst, dass das so gut wie nie vorkam. Eben selten. Äußerst selten. In den meisten Fällen sind die im Krieg Vermissten bloß Tote ohne Namen, solche, die man nicht identifizieren konnte – Erkennungsmarke verloren – oder die vollkommen zerfetzt wurden. Doch ab und zu, das ist bekannt, taucht einer auf und kehrt zurück, aber das ist ein Wunder Gottes, einer von Millionen.
Und an diesen einen von Millionen klammerten sich die Peruzzi, angefangen von meiner Großmutter und Armida, die nichts anderes mehr tat, als ihre Bienen zu befragen, wenn die Kinder sie nicht hören konnten: »Ist er tot oder lebendig?«
Und die machten summ, summ,
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