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Canale Mussolini

Canale Mussolini

Titel: Canale Mussolini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pennacchi Antonio
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Von welchen Traditionen er da redete, weiß ich nicht. Vielleicht die vom Schurken Maramaldo. Aber noch glaubten wir ihm – der König stand hinter ihm –, vor allem war er noch immer der Marschall Italiens Pietro Badoglio, der mit meinem Onkel Adelchi und dessen Gevatter Franchín an der Spitze der siegreichen Truppen in Addis Abeba Einzug gehalten hatte. Konnte man sein Wort in Zweifel ziehen? »Der Krieg geht weiter«, auch für uns an der Seite des deutschen Verbündeten.
    Und so schlüpfte mein Vetter Paride – als tapferer Soldat, der er war, wie allerdings alle Peruzzi – am Ende seines Urlaubs wieder in die Uniform, packte den Tornister, und eines Morgens Mitte August 1943, etwa drei Wochen nach jenem 25. Juli, grüßte und küsste er alle und kehrte zu seiner Einheit zurück. Niemand beachtete, dass Armida weinte; alle weinten, ich sage es noch einmal, konnten sie sich da über Armida Gedanken machen? »Geh nicht, Junge, geh nicht«, weinte Parides Mutter.
    »Mama, das ist Desertion«, sagte er sanft.
    »Aber siehst du nicht, wie es überall drunter und drüber geht!«, womit sie offenbar sowohl die Geschicke des Faschismus meinte – »Ja, ja, drunter und drüber«, stimmte Armida zu – als auch die Geschicke des Krieges, der so gut wie verloren war. »Wer weiß, was da passieren kann?«
    »Weiber! Komme, was da wolle, aber das ist noch nie da gewesen, dass ein Peruzzi desertiert wäre. Gebt mir einen Kuss und betet für mich.«
    Mitte Juni war er für den sogenannten Ernteurlaub nach Hause gekommen – sein erster Urlaub in drei Kriegsjahren –, denn ab und zu wurde Bauernsoldaten ein solcher gewährt, damit sie heimkehren und bei der Ernte und beim ersten Pflügen mithelfen konnten. Den Antrag stellten die Angehörigen über die ONC und die Agraraufsichtsbehörde, und alle stellten solche Anträge. Ab und zu wurde einer bewilligt, und nachdem er vor über drei Jahren zur Hafenmiliz in Albanien eingerückt war, hatte es diesmal ihn getroffen, und Mitte Juni sahen wir ihn daherkommen, schön wie auf dieser Welt einer nur schön sein kann, der Paride heißt.
    Unser Paride war sehr groß, die Schultern breit wie eine Tür und schmale Taille. Ein einziges Bündel Sehnen und Muskeln. Pechschwarz – ich habe Ihnen ja schon gesagt, dass die Peruzzi alle so sind, entweder blond oder schwarz, immer abwechselnd; Pericle blond, Onkel Adelchi schwarz – ganz, ganz schwarz, aber mit blauen Augen, glattes Haar wie Onkel Adelchi, aber die Gesichtszüge und die ganze Statur, Muskulatur und Nerven, vor allem aber die Seele von Onkel Pericle. Er war der Beste der Peruzzi, Paride, der erste der jüngeren Generation, der Stolz der ganzen Familie, alle Vettern bewunderten ihn. Sie hätten ihn sehen sollen, wenn er mit nacktem Oberkörper übers Feld ging, einen Schwarm Kinder hinter sich, sämtliche Vettern – »Paride! Paride!« –, der eine über die Schultern gelegt, ein anderer auf dem Arm, andere dagegen liefen ihm voraus, blieben plötzlich stehen, drehten sich und sagten: »Paride, Paride, hör mir zu!« Und er hörte allen zu, erzählte Märchen, versetzte ihnen leichte Klapse auf den Kopf und Tritte in den Hintern – und sie lachten –, dann wieder tröstete er sie, wenn sie mal hinfielen und sich weh taten, oder wenn ihre Mütter sie verhauen hatten oder auch Großmutter, und sie weinten: »Komm her, ich erzähl dir eine Geschichte.«
    Er war stark wie ein Stier: Wegen einer Wette mit seinen Brüdern – und daran erinnere ich mich noch gut, weil ich selbst als kleiner Junge dabei war – nahm er einmal die Stelle der Ochsen ein und zog den Pflug, den die Brüder mit aller Macht nach unten drückten, damit er so tief wie möglich in die Erde schnitt, aber er schaffte es, einen Ruck nach dem anderen, den Pflug und die Brüder hinter sich, die nach allen Seiten hüpften, so schaffte er es, bis ans Ende des Ackers zu kommen, und dort angelangt, nahm er mich auf den Arm und warf mich zwei oder drei Mal in die Luft. Er kannte tausend Geschichten, hatte tausend Witze parat, und auch im Borgo und im Dopolavoro war er in allen Gesellschaften stets der Mittelpunkt. Aber er war auch ein Peruzzi, und von der besten Sorte einer – er war kein Clown –, und er konnte entschieden böse sein, wenn ihm was gegen den Strich ging. Ich weiß nicht, ob ich Ihnen je von dem Mal in Casal delle Palme erzählt habe, im Wirtshaus, als Onkel Pericle und Onkel Temistocle einen Wortwechsel mit einem Di Patroclo hatten, gewisse

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