Canale Mussolini
noch in Rom in seinem Haus auf oder bei uns im Agro Pontino, solange mein Großvater am Leben war. Er kam mit dem Auto und hupte auf der Brücke, stieg aus dem Fiat 1100 aus, und gegen den Wagenschlag gelehnt fing er an zu schreien: »Hilf mir, Peruzzi, hilf mir!«
»Oh, du verfluchter Kerl«, rief Großvater sofort, lief hin und umarmte ihn.
Er blieb auch ganze Tage lang. Nicht mehr auf dem Dachboden, sondern in dem Kämmerchen, das das Bad hätte sein sollen. Stundenlang schwatzten sie miteinander, er und Großvater – »Erinnerst du dich noch an damals?« »Und jenes Mal?« –, und wenn Arbeit war, packte er auch mit an, bei der Heuernte oder beim Rübenstecken, den Strohhut auf dem Kopf, und trank ebenfalls aus dem Schöpflöffel in der Küche. Er war auch hier, als Großvater sich nicht wohl fühlte, und blieb bis zuletzt: »Vorausgesetzt, ich störe nicht.«
»Aber was denkt Ihr denn, Rosón«, sagte Großmutter zu ihm. »Es ist ein Vergnügen für uns, Ihr seid immer so etwas wie ein jüngerer Bruder gewesen für meinen Mann.«
»Und er für mich ein älterer Bruder«, sagte Rossoni, und in den zwanzig Tagen, die mein Großvater bettlägerig war und Großmutter ihn umsorgte wie ein Kind, Tag und Nacht hin und her, saß er immer daneben und half Großmutter, ihn zu waschen, umzudrehen und anders zu betten, während Großvater ab und zu lächelnd sagte: »Monti und Tognetti.«
»Monti und Tognetti«, antwortete Rossoni. Und um sich die Beine zu vertreten, ging er ab und zu mit uns Kindern hinaus auf die Felder. Wir unter uns sagten: »Sie waren Brüder! Es war der Papa vom Großvater, der hat die Mama vom Rosón gevögelt.« Und er war auch an jenem Abend da – er saß auf der anderen Seite –, als Großmutter sich einen Augenblick zu Großvater ans Bett setzte, er sie ansah und sagte: »Was meinst du, Mädel, wenn es mir morgen bessergeht und ich aufstehen kann, was sagst du, soll ich mir dann wieder ein Pferd kaufen?«
»Ein Pferd? Alle Pferde, die du willst, Mann, alle Pferde der Welt.«
Er lächelte ein wenig, und nach einem Weilchen sagte er mit schwacher Stimme: »Wie schön du bist.«
Prompt antwortete sie: »Nein, mein Lieber, du, du bist schön«, und Großvater starb.
Rossoni blieb bis zur Beerdigung – immer an Großmutters Seite, die nicht weinte, sie war vernichtet, weinte aber nicht –, nach der Beerdigung aß er mit uns zu Abend, dann fuhr er nach Haus nach Rom.
Zwanzig Tage später kam er wieder zur Beerdigung der Großmutter, die sich am Abend nach dem Tod ihres Mannes ins Bett gelegt hatte und nicht mehr aufgestanden war. Er kam, und auch diesmal – das letzte Mal – blieb er zum Abendessen und erzählte für die nachwachsenden Generationen der Peruzzi – falls sie sie noch nicht kennen sollten – die Geschichte vom Karren und den Fässern und dem Pferd von Copparo. »Hilf mir, Peruzzi, hilf mir«, und von jenem Mal, als Onkel Pericle und Onkel Temistocle mit dem Fahrrad bei ihm im Palazzo Venezia aufgekreuzt waren. Dann reiste er ab und ist nicht mehr wiedergekehrt. Ab und zu fuhr jemand von uns nach Rom – vor allem Onkel Adelchi, wenn er womöglich einen Rat brauchte – im Dezember vor Weihnachten und brachte ihm zwei Bratenstücke, Grieben und Cotechino vom frisch geschlachteten Schwein. Als er starb, waren bei der Beerdigung seine Frau und aus jeder Peruzzi-Familie mindestens zwei. Er mag ja Faschist gewesen sein, aber er war unser Bruder, Erbauer von Städten und Trockenleger der Pontinischen Sümpfe. Uns Peruzzi hat er hierhergebracht, Edmondo Rossoni von der Kreuzung in Tresigallo – auf dem Weg von Codigoro nach Copparo – in der Provinz Ferrara.
Wie bitte, was sagen Sie? Sie wollen wissen, ob die Geschichte mit seiner Frau und dem Cousin stimmt?
Aber scheren Sie sich doch zum Teufel, lassen Sie doch diesen Unfug. Wie soll denn ich das wissen? Fragen Sie doch den Duce, oder?
Wir waren aber noch beim Morgen des 25. Juli 1943, als nach mehr als zwanzig Jahren Diktatur das faschistische Regime durch die Hand von Rossoni, Ciano und deren Freunden und dem König zu Fall gebracht wurde und nun alle in Italien erwarteten, dass auch gleich der Frieden käme. Im Radio aber verkündete der neue Regierungschef, Marschall Badoglio, vermutlich, um die Deutschen nicht misstrauisch zu machen: »Der Krieg an der Seite unseres deutschen Verbündeten geht weiter. Italien steht treu zu seinem gegebenen Wort, eifersüchtiger Hüter seiner Jahrtausende währenden Traditionen.«
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