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Canale Mussolini

Canale Mussolini

Titel: Canale Mussolini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pennacchi Antonio
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Döbel und Perlfische ja, aber mein Vetter Paride sagte, es habe auch Lachse gegeben, die vom Meer den Canale Mussolini hinaufzogen, in riesigen Sätzen die Schwellen überwanden – Sprünge von einem Meter, über Stufen und Wasserfälle hinaus –, um dann am Fuß der Lepiner Berge zu laichen. Einmal habe ich sie auch gesehen, und wenn ich diese Geschichte im Internat erzählte, lachten alle und zogen mich auf, denn im Kinderfernsehen – die Priester ließen uns nur das schauen – hatte es in »Entlang dem Sankt-Lorenz-Strom« eben geheißen, dass sämtliche Lachse der Welt, in welchem Meer auch immer sie leben, wenn es Zeit ist, sich zu begatten, Eier abzulegen und Junge zur Welt zu bringen, zum Sankt-Lorenz-Strom in Kanada kommen, ihn hinaufziehen und ihre Eier dort ablegen. Was soll ich Ihnen sagen? Dieser Dokumentarfilm wird sich getäuscht haben, denn mein Vetter Paride sagte, zu unserer Zeit seien sie auch zum Canale Mussolini gekommen. Zum Sankt-Lorenz-Strom und zum Canale Mussolini. Was ist da so seltsam dran?
    Wie bitte, was sagen Sie? – Ich habe nicht verstanden. Sie sagen, der Lachs braucht kaltes Wasser, arktisches Klima?
    Und Mammuts, welches Klima brauchen die, vielleicht warmes? Und wie kommt es dann, dass es unter dem Canale Mussolini Mammuts gibt, oder wenigstens das Gerippe, das Carlo Alberto Blanc bei der Schwelle von Gnif Gnaf gefunden hat? Und wenn es unter dem Canale Mussolini Mammuts gibt, können Sie mir dann erklären, warum es oben keine Lachse geben soll? Bringen Sie mich nicht Rage, wenn ich bitten darf, sonst setze ich Ihnen auch noch Eisbären auf diese Schwellen – anstelle der Reiher –, und die fressen dann diese vermaledeiten Lachse.
    Wie bitte, was sagen Sie? Dass die Mammutreste aus der Eiszeit stammen?
    Genau. Aber wenn da die Eiszeit war, dann waren da auch die Lachse, nicht wahr? Das sind dann eben die Ururururenkel von jenen Lachsen. Wurde das nicht auch in »Entlang dem Sankt-Lorenz-Strom« gesagt, dass der Lachs zum Begatten, Nestbauen, Eierlegen und allem, was Sie sonst noch wollen, nur und ausschließlich an den Ort geht, wo er geboren wurde? Kaum geboren, zieht er von dort aus in alle Weltmeere, aber sobald auch er ein merkwürdiges Ziehen zwischen den Schenkeln spürt, klemmt er die Flossen unter die Arme und rudert nach Hause, dorthin, wo er geboren wurde: »Ich muss vögeln.« Nur dort gelingt ihm das richtig gut, was soll ich da machen? Und seit Jahrhunderten, seit Jahrtausenden sind sie offenbar immer wieder hierhergekommen, auch als sich das Wasser erwärmte und sich die Sümpfe bildeten; und als sie in Foceverde nicht mehr den Fosso Moscarello antrafen, sondern den Canale Mussolini, sind sie halt den hinaufgezogen. Was wollen Sie denn von mir? Bis zu hundertfünfzig Kilo schwere Lachse hat mein Vetter Paride gefangen, ich schwöre es Ihnen, so groß wie das Schwein, das wir im Stall hatten – fliegende Schweine –, an unseren Schwellen im Canale Mussolini.
    Jedenfalls wenn Paride dann mit einem seiner Brüder vom Angeln zurückkam – er war ganz versessen darauf, die Leidenschaft hatte ihm mein Onkel Pericle schon als Kind eingepflanzt, als wir noch in Codigoro lebten und er ihn mitnahm –, war es mitten in der Nacht. Sie zündeten die Petroleumlampe beim Eingang an und stiegen die Treppe hinauf. Alles schlief. Sämtliche Türen und Fenster standen offen. Nur die Mückengitter waren geschlossen. Betten überall. Er schlief allein – er war der Älteste – in dem sogenannten Badkämmerchen. Sie samt ihren Kindern schlief in dem großen Zimmer gegenüber, in einem breiten, an die Wand gerückten Bett. Beim Fenster dagegen schlief Parides Schwester, Onkel Temistocles Älteste, mit ihren Kindern. Kaum hörte sie sie heimkommen, wachte Armida sofort auf. Das war kein Schlaf mehr für sie, mit diesem Feuer in sich. Eine Qual. Und die bange Erwartung, die ihr nach und nach den Magen zuschnürte, wenn der Lichtschein dann von unten an den Treppenwänden und an der Decke heraufflackerte.
    Dann kamen sie nach oben. Sie wälzte sich im Bett herum. Sie hörte, wie der andere – der jüngere Bruder – sich im Dunkeln zwischen dem der anderen Brüder zu seinem Bett vortastete. Er dagegen zog sich bei Lampenschein in dem Kämmerchen aus, zwischen dem Kopfende des Bettes und der Tür, und sie konnte nicht anders, als ihn unter dem Kissen heraus jedes Mal anzuschauen, wie er dann in Unterhosen dastand. Ein Riese mit breiten Schultern – durch den Lichtschein noch

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