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Canale Mussolini

Canale Mussolini

Titel: Canale Mussolini
Autoren: Pennacchi Antonio
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Predigt: »Der soziale Gedanke der Kirche! Wir haben die Weißen Ligen und Genossenschaften eigens geschaffen, um die Ungerechtigkeit der Reichen zu bekämpfen, aber auch die Gewalttätigkeit und die Übergriffe der Roten.«
    »Herr Pfarrer«, fragte ihn da mein Onkel, »aber wie erklärt es sich, dass ihr erst jetzt, nach zweitausend Jahren, auf diesen Gedanken kommt? Wäre nicht die Morgenröte der Zukunft aufgegangen, wärt ihr da vielleicht auch diesmal nicht darauf gekommen? Würdet ihr ihn noch weitere zweitausend Jahre für euch behalten haben? Schert Euch zum Teufel, Herr Pfarrer, ihr interessiert euch doch nur fürs Geld, ihr seid bloß Krähen, die über dem Kadaver des Proletariats kreisen.« Manchmal konnte er reden wie der »Avanti«, Onkel Pericle. Aber dem Priester gefiel das nicht. Im Gegenteil, er verpasste ihm eine Ohrfeige.
    Er war erwachsen und mein Onkel scheinbar noch ein Kind. Aber die Ohrfeige – nicht fest, versteht sich, aber doch ein Schlag ins Gesicht und vor allen anderen – ließ ihm das Blut zu Kopf steigen. Und der andere hatte die Ohrfeige noch nicht beendet, da hatte mein Onkel schon das offene Messer gezückt, ging auf den Priester los, warf ihn mit den Schultern gegen die Hauswand, dass er ganz benommen war, und jetzt schwenkte er von unten her – von unten mit hochgestreckter Hand, weil er noch klein war – das Messer und drückte ihm die Messerspitze drohend an den Hals: »Tut das nicht noch einmal.«
    Alles ringsum erstarrte. Keiner sagte ein Wort, auch der Priester nicht, auch mein Onkel nicht. Ich weiß nicht, wie lang das dauerte, vielleicht Sekunden, vielleicht länger. Dann zog mein Onkel das Messer zurück, klappte es zusammen, steckte es in die Tasche, drehte sich um und ging. So ist die Sache gelaufen.
    Beim Fußballspiel bei der Kirche war er nie mehr, ja, er ist überhaupt nicht mehr in die Kirche gegangen, obwohl er vorher immer ein bisschen gegangen war. Und einmal kam er da mit einer Fuhre Heu vorbei, er auf dem Kutschbock, das Messer in der Hand, um aus einem Stück Holz ein Püppchen zu schnitzen, das er der kleineren Schwester schenken wollte, und die anderen – die er nicht einmal mehr grüßte –, die spielten und verschossen ganz offenbar den Ball, der auf dem Wagen landete, er dachte, sie hätten absichtlich auf ihn gezielt, als Beleidigung. Das Messer hatte er schon in der Hand – wegen dem Püppchen für die Schwester –, und so fing er den Ball im Flug und stach hinein. Er zerstach ihn. Dann warf er den schlappen Ball zurück aufs Feld: »Los, spielt weiter!«
    Sie brauchen jetzt gar nicht darauf herumzureiten, das weiß ich selbst, dass die Schuld ganz bei meinem Onkel lag, und auch seine Mutter – meine Großmutter – wiederholte das eine Woche lang, tagaus, tagein, nachdem jemand hingegangen war und es ihr erzählt hatte. Als sie es erfuhr, wollte Großmutter jedenfalls, dass Onkel Pericle den Priester um Verzeihung bitten ging, weil man so etwas nicht tut, sagte sie. Zunächst, weil er älter war, und Junge müssen vor den Älteren Respekt haben, vor allem aber, weil er ein Priester war: »Ein Diener des Herrn«, sagte sie, und Sie mögen ja nun daran glauben oder nicht, dass es da einen Herrn gibt, jedenfalls sind das Menschen, die sich um das Gute bemühen, und da weiß man nie, sagte meine Großmutter. Es ihnen gegenüber an Respekt fehlen zu lassen bringt Unglück. Früher oder später büßt man das: »Die Rechnung mit Gott sollte immer zumindest ausgeglichen sein.«
    Großvater hingegen sagte nichts. Wie denn auch; wenn die Frau auf den Sohn wütend war und beschlossen hatte, ihm den lieben langen Tag Vorwürfe zu machen, sollte er sich da vielleicht einmischen? Um was zu sagen? Ihn in Schutz zu nehmen? Abgesehen davon, dass der Sohn diesmal arg im Unrecht war, denn ist ja gut und schön, dass man sich Respekt verschafft und sich nicht vom Erstbesten beleidigen lässt, auch wenn es ein Herr oder »ein Diener des Herrn« ist, wie Großmutter sagte, aber ein Herr ist eben doch immer ein Herr, und auch wenn man sich Respekt verschafft, sollte man das nie außer Acht lassen und es sich auf jeden Fall zweimal überlegen, bevor man das Messer zückt, nicht, dass man es zweimal zückt und nicht einmal überlegt hat. Aber ganz abgesehen davon, dass der Sohn diesmal im Unrecht war, er sollte sich bloß unterstehen, ihn in Schutz zu nehmen. Sie war imstande, auf ihn loszugehen, und am Ende wäre dann alles seine Schuld gewesen. »Du bist es ja,
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