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Canale Mussolini

Canale Mussolini

Titel: Canale Mussolini
Autoren: Pennacchi Antonio
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der die Kinder vom rechten Weg abbringt.« Besser, er schwieg.
    Was sagen Sie? Er hätte dem Sohn auch Vorwürfe machen können? Aber das wäre ja noch schlimmer gewesen. Dann haben Sie also immer noch nicht begriffen, wie die beschaffen war? »Was mischst du dich da ein?«, hätte sie gesagt. Und nur, um ihm zu widersprechen, hätte sie ihre Meinung geändert, hätte dem Sohn recht und ihm unrecht gegeben. Wenn die erst einmal loslegte, war es besser, man kümmerte sich um seine eigenen Angelegenheiten und wartete ab, bis es ihr vergangen war.
    »Monti und Tognetti!«, murmelte mein Großvater nur hin und wieder leise, während er im Stall mit der Mistgabel nach und nach den Kuhdung aus den Streulagern hob, jedes Mal, wenn er aus dem Haus das Gezeter meiner Großmutter hörte.
    »Monti und Tognetti!«, wiederholte er, während er die Kuhfladen übereinander in die Schubkarre schichtete, um sie dann zum Misthaufen zu fahren: »Monti und Tognetti«, das waren die beiden Patrioten, die der Papst 1867 hatte hinrichten lassen, während Garibaldi und die Brüder Cairoli auf Rom marschierten, um es Italien anzuschließen. Und obwohl Christus gesagt hatte, halt auch die andere Wange hin, ließ Papst Pius XI . Monti und Tognetti die Köpfe abhacken. Coram pop u lo . Auf öffentlichem Platz. Mit der Guillotine. Und bevor man die Köpfe in den Korb warf, ließ er sie mit ausgestrecktem Arm hochhalten, um sie seinen Zuaven zu zeigen, diesen französischen Soldaten, die er sich eigens hielt, um auf die Italiener zu schießen. »Hier in Rom bin ich König«, sagte der Papst, »und wehe dem, der eindringt oder aufmuckt.« Pius XI . Im Grunde waren seither kaum mehr als vierzig Jahre vergangen, die Erinnerung war noch frisch, und jedes Mal, wenn im Wirtshaus oder in einer Diskussion eine Geschichte mit Priestern zur Sprache kam, sagte mein Großvater prompt: »Monti und Tognetti! Damit habe ich alles gesagt.«
    Jedenfalls brach in der Woche nach der Roten Woche der Erste Weltkrieg aus. Wir wussten das damals natürlich nicht, nicht dass wir gesagt hätten: »Da schau her, der Erste Weltkrieg ist ausgebrochen«, wir erfuhren das erst später. Wir dachten, es wäre nichts Schlimmes – »Das geht bald vorbei« –, denn wir waren in Gedanken noch bei der Roten Woche. Das war ein großer, begeisternder Kampf gewesen, aber Ergebnis gleich null: keine Revolution, keine Reformen und kein Reformismus; Worte und Taten immer zweierlei. Dann war nicht mehr die Rede davon, und es war nur noch die Rede von dieser neuen und wichtigeren Sache, dem Krieg, aber nicht sofort. Ein ganzes Weilchen lang lebten, arbeiteten und fluchten wir weiter, als ob nichts wäre, dachten nur an unsere Angelegenheiten hier: Grundherren, Pächter, Verträge, Pachtzins, das Vieh, die Karren, Söhne, die heranwuchsen, und Töchter, die neu dazukamen.
    Doch es kam dieser Weltkrieg. Wir traten aber nicht ein in den Krieg, wir blieben neutral, und während die anderen sich schon seit Monaten abschlachteten, gab es in Italien Zoff zwischen denen, die eintreten wollten, und denen, die das nicht wollten (Zoff natürlich nur im übertragenen Sinn, oder besser gesagt, eine Angelegenheit bloß zwischen den paar Mächtigen und Intellektuellen, die Zeitung lasen und sich um Politik kümmerten, während die Mehrheit des Volkes einfach bloß hungerte). Wie auch immer, während die Sozialisten und die Linke gegen den Krieg waren und Frieden wollten, kamen plötzlich die radikalsten unter den revolutionären Syndikalisten daher – Rossoni aus Amerika, De Ambris, Corridoni und Mussolini – und sagten, wir müssten intervenieren und auch in den Krieg eintreten; aber auf Seiten der Tripelallianz Frankreich-Russland-England gegen Österreich und Deutschland, die aber doch unsere Verbündeten waren und mit denen wir jede Menge Abkommen hatten. Aber was wollen Sie, was bedeuten in Italien schon Worte wie Verbündeter oder Abkommen? Und da gerieten sie sich wieder mit den Reformisten in die Haare, die nicht eintreten wollten: »Sozialismus bedeutet Frieden, wir verabscheuen den Krieg.«
    »Ach ja?«, gaben die anderen zurück. »Und warum sind dann die deutschen Sozialisten an der Seite des Kaisers in den Krieg gezogen, um ihre Sozialgesetze zu verteidigen, auf dem Rücken derer, die sie möglichst schnell abmurksen wollen?« Kurz und gut, ein schlimmeres Durcheinander als vorher.
    Anfangs war Großvater nicht so überzeugt vom Interventionismus seiner Freunde: »Im Krieg kann man auch
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