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Canale Mussolini

Canale Mussolini

Titel: Canale Mussolini
Autoren: Pennacchi Antonio
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–; da hatte er zu seinen Kameraden gesagt: »Aber den kenne ich doch«, und dann gleich losgebrüllt: »Rossoni!«
    Der andere drehte sich um, pikiert, dass irgendein dahergelaufener Soldat ihn »Rossoni« rief, ohne Dienstgrad, als ob er sein Bruder wäre. Er war zwar Sozialist und revolutionärer Syndikalist, gut und schön, aber Dienstgrad ist Dienstgrad, und mittlerweile war alles anders, wir waren im Krieg, und Vaterland ist Vaterland, und ein Offizier ist ein Offizier. Also sah er ihn schief an, wie um zu sagen: »Was fällt dir ein? Wer kennt dich denn?«, auch weil er, seien wir ehrlich, Onkel Pericle 1908 als Kind gesehen hatte, als er neun Jahre alt war, und wie sollte er sich da an ihn erinnern? Onkel Pericle dagegen hatte diesen Rossoni seit damals immer im Sinn – und auch früher schon, als er sechs war und der Vater mit ihm im Gefängnis gewesen war –, als ob er unser Herr Jesus Christus persönlich wäre. Wer weiß, was er ihn dünkte. Deshalb hatte er »Rossoni« gebrüllt, wie um zu sagen: »Schau her! Ich bin auch Soldat. Und ich bin es für dich.« Doch als der andere ihn nicht erkannte – ja, sogar verärgert reagierte –, verlor mein Onkel den Mut und war gekränkt. Aber da war er nun mal, und er versuchte aus seiner Lage das Beste zu machen: »Verzeiht, Herr Hauptmann«, und er schlug die Hacken zusammen, »ich bin Pericle, Sohn des Peruzzi, ich weiß nicht, ob Ihr Euch erinnert.«
    »Aber ja«, rief da Rossoni und umarmte ihn. »Wie sollte ich mich nicht erinnern? Ich war mit deinem Vater im Gefängnis«, und sie redeten ein wenig miteinander. Doch dann mussten sie auseinandergehen, weil die Einheit meines Onkels sich in Marsch setzte, und Rossoni gab ihm ein Päckchen Zigaretten und auch Geld – »Gib deinen Kameraden einen aus« –, denn Onkel Pericle wiederholte ständig allen gegenüber: »Das ist Rossoni, ein großer Mann, mein Vater hat mit ihm im Gefängnis gesessen.«
    1919, nach dem Ende des Krieges, traf er ihn in Mailand wieder, und diesmal war es Rossoni, der ihn zuerst sah: »Peruzzi!« Mein Onkel war zusammen mit seinen Freunden, sie kamen eben aus dem Bordell, lachend standen sie auf dem Gehsteig einer dieser kleinen Straßen rings um die Piazza Duomo und prahlten mit ihren frischen Abenteuern. Rossoni war auf der anderen Straßenseite, in Zivil, er war demobilisiert und schon wieder hauptamtlich in die Politik zurückgekehrt.
    Onkel Pericle hatte sogar nach Hause geschrieben, damals im Krieg: »Ich habe Rossoni getroffen, der euch alle miteinander sehr herzlich grüßen lässt«, aber wir hatten ihn so lange nicht gesehen, eben seit 1908, über zehn Jahre. Er war in der ganzen Welt unterwegs gewesen, stets verfolgt von Haftbefehlen. Dann aber, kaum war Italien in den Krieg eingetreten, und vor allem, kaum hatte man ihm die Haftstrafen erlassen, kam er zurück und meldete sich freiwillig, wie alle anderen revolutionären Syndikalisten auch, von Mussolini bis Corridoni, der dann aber in der Schlacht fiel und nicht wiederkam. Rossoni ist es besser ergangen, und jetzt war er frei und in Zivil und in Mailand unterwegs, um neue Umtriebe zu schüren und geheime Verabredungen zu treffen.
    Rossoni – der, wo auch immer er war, wie ein Gehetzter um sich schaute – erblickte diese Gruppe lärmender Soldaten auf der anderen Straßenseite, unter ihnen Onkel Pericle. »Da schau, der Peruzzi«, und rief ihn.
    Diesmal hatte mein Onkel ihn weder gesehen noch bemerkt. Um die Wahrheit zu sagen, kümmerten sie sich eine Weile schon nicht mehr um Zivile, wenn sie in Mailand unterwegs waren, ja, sie gingen ihnen fast aus dem Weg und versuchten, unter sich zu bleiben: »Besser, man hat nichts mit ihnen zu tun.«
    Denn in der Tat waren die Menschen nicht recht zufrieden und bereiteten ihnen auch keine Triumphzüge. Ja, hinter ihrem Rücken spuckten sie aus. Vor allem, weil immer noch sehr viele Pazifisten unterwegs waren, die nicht in den Krieg hätten eintreten wollen und jetzt mit toten Söhnen oder Verwandten dastanden, ganz zu schweigen von den Invaliden und Versehrten. Die eigentliche Tatsache ist allerdings, dass es den Leuten nach dem Krieg nicht besser ging als vorher, also solange der Krieg noch tobte. Nicht, dass es nun mehr Arbeit, mehr Freude und Wohlstand gegeben hätte. In Gegenteil; vorher waren die Fabriken auf Hochtouren gelaufen und hatten Rüstung produziert, aber jetzt im Frieden herrschte Rezession, die Fabriken schlossen, und statt besser ging es einem schlechter. Und
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