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Canale Mussolini

Canale Mussolini

Titel: Canale Mussolini
Autoren: Pennacchi Antonio
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dass nicht nur sie ihn gewonnen haben, da waren auch die anderen, aber damals sagte man das so: »Die 99er Jungs haben ihn gewonnen.« Achtzehnjährige, zusammengezogen am Piave und dann im Angriff, unter Bomben, Schrapnellen und Gas. So wurden sie erwachsen.
    Als er auf Fronturlaub kam, Ostern ’18, waren wir nicht mehr in Cavarzere, denn nach Caporetto war die Front weiter hinuntergewandert bis zum Piave, Großmutter wollte, dass wir etwas weiter runterzögen, für den Fall, dass sie auch am Piave zusammenbrach und der Feind bis an die Etsch vorrückte und wir alles verlieren würden, die Ernte, das Vieh; die Söhne im Krieg ist ja gut und schön, aber Ernte und Vieh, nein. Also kehrten wir zurück nach Codigoro – und das war bestimmt nicht der günstigste Augenblick, einen Vertrag auszuhandeln, bei all den Menschen, die hin und her zogen, und Massen von Evakuierten, die nach Süden drängten –, also nahmen die Brüder meiner Großmutter, was sie kriegen konnten, denselben Pachthof, wo wir schon einmal gewesen waren, aber diesmal zu schlechteren Bedingungen. »In Cavarzere waren wir für meinen Geschmack jetzt ohnehin zu lang«, sagte Großvater, um sie zu trösten.
    Als Onkel Pericle zu Ostern auf Fronturlaub kam und wir schon wieder in Codigoro waren, hatte er einen Entwicklungsschub durchgemacht und war plötzlich größer als der Großvater. Groß und blond mit breiten Schultern, harten, trainierten Muskeln – wie aus Stein –, durchzogen von pulsierenden Venen und Adern, die wie in Bronze gemeißelt hervortraten.
    Zum Schluss haben wir diesen Krieg gewonnen, und am 4. November 1918 war er aus. Im Juni war aber noch ein Mädchen zur Welt gekommen, und mein Großvater hatte genug vom Krieg und von all den Entbehrungen, denn jetzt waren auch die Lebensmittel rationiert. Onkel Pericle sagte, er hätte endlich wachsen können, weil er bei der Truppe regelmäßig zu essen bekam, mindestens zwei Mal am Tag – alle beklagten sich, weil es Kriegskost war, und manchmal war das Essen kalt, wenn es in den Kesseln ankam, nach stundenlangem Aufenthalt auf dem Rücken von Maultieren, im Schutz einer Schlucht darauf wartend, dass das Feuer aussetzte; und wenn es dann ankam, war alles nur noch eine klebrige Masse –, garantiert mindestens zwei oder drei Mal am Tag, und Onkel Pericle hatte sich nicht geziert: »Was sich nicht runterwürgen lässt, gibt wenigstens Fett«, und hatte sich mit der Pampe die Muskeln eingerieben. Aber Großvater hatte genug von all den Entbehrungen und von der Angst um die Söhne: »Wer weiß, ob sie wiederkommen.« Und so nannte er das im Juni geborene Mädchen Santapace, eine Beschwörung ähnlich wie Friederike – als Gelübde an die Götter –, und auch der Bruder hatte das Mädchen, das er im Monat darauf bekam, Santapace getauft, Santapace die zweite, um das Gelübde zu bekräftigen, und sein Bruder sagte zu meinem Großvater: »Dann bist du also nicht mehr Interventionist, hm?«
    Jedenfalls war der Krieg aus, Ende gut, alles gut. Die Unsrigen waren heil und gesund nach Hause gekommen, auch die Söhne vom Bruder des Großvaters, und keiner Familie ist es so gut ergangen wie uns. Alle hatten irgendjemand zu betrauern. Wir nicht.
    Onkel Temistocle kam gleich Anfang 1919 nach Hause. Onkel Pericle dagegen behielten sie noch ein Jahr, er wurde erst 1920 demobilisiert. Denn wenn ein Krieg zu Ende ist – auch wenn man ihn gewonnen hat –, löst man das Heer ja nicht einfach auf und schickt alle nach Hause, sonst steht man ohne da, und der Erstbeste kann einen überfallen. Ein Heer muss man für alle möglichen Eventualitäten aufrechterhalten, man demobilisiert also nach und nach, in dem Maße, wie man die Reserven für den Frieden aufbaut.
    Onkel Pericle war also Soldat geblieben. Bis Mitte ’19 war er in Mailand stationiert. Er nahm an Manövern teil, Truppenübungen und Kasernenhofdrill; dann hatte er Ausgang und ging ins Varieté, ins Kino, streunte durch die Stadt und ging ins Puff: »Das nenne ich Leben«, sagte er, der bis dahin praktisch nur Cavarzere und Codigoro und Schlachtfelder gesehen hatte. Und so, auf seinen Streifzügen durch Mailand, traf er Rossoni.
    Eigentlich hatte er ihn während des Kriegs schon einmal getroffen, in der Etappe, kurz vor dem entscheidenden Vormarsch bei Arcade. Zwischen Ambulanzwagen hatte er diesen Offizier mit Heft und Bleistift in der Hand gesehen, der sich Notizen machte – er war Angehöriger des Propagandastabs, Informations- und Pressedienst
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