Canale Mussolini
Parlament – gleich dort, an der Tür zum Plenarsaal, hochrot im Gesicht und schäumend vor Wut – Cesarino Rossi anbrüllte, seinen Privatsekretär, der über alles Bescheid wusste, sämtliche Geheimnisse kannte: »Was macht eigentlich Dumini?« Er war stinksauer. Das ist verbürgt. Sie hielten sich Dumini in Rom – bestallt und besoldet vom Innenministerium, mit seiner ganzen schäbigen Truppe, der Cèka nera , wie sie genannt wurde – eigens für Gelegenheiten dieser Art.
Als daher Cesarino Rossi zu Dumini kam und ihm referierte: »Aber was machst du denn eigentlich? Lässt du dich aushalten? Worauf wartest du? Was macht eigentlich Dumini?, hat der Duce gefragt«, begriff der im Flug und rief zwei oder drei von seinen Leuten. Sie fuhren mit dem Auto los. Sie schnappten sich Matteotti am Lungotevere. Er wollte nicht einsteigen. Er wehrte sich. Sie wurden handgreiflich und zerrten ihn mit Gewalt in den Wagen. Aber er wehrte sich auch im Auto. Und sie schlugen fester zu. Eigentlich wollten sie ihm nur eine Lektion erteilen – so behaupteten sie wenigstens –, aber irgendwann zogen sie einen Dolch und eine Feile hervor und ermordeten ihn mit Messerstichen. Sie hatten Dolche mitgenommen. Dann versteckten und verscharrten sie ihn in einem Wald. Erst zwei Monate später wurde Matteotti gefunden, der Ärmste, am 16. August, und wieder war Mussolini stinksauer: »Ja, was habt ihr denn gemacht?«
»Du hast doch gesagt, was macht eigentlich Dumini«, antwortete ihm Cesarino Rossi.
Damals, 1924, war Mussolini noch vom Parlament abhängig, und das Parlament setzte ihm gewaltig zu. In ganz Italien zeigte man mit dem Finger auf ihn als einen Mörder, einen Parlamentspräsidenten, der einem Abgeordneten, wenn er gegen ihn redet, Schläger und Mörder ins Haus schickt. Die ganze Nation war empört und ließ ihn allein. Alle auf dem Aventin. In sämtlichen Zeitungen »Der Fall Matteotti hier, der Fall Matteotti da«. Und auch jede Menge Faschisten wandten sich ab, und jede Menge Leute, die sich auf ihre Seite gestellt hatten, aber die jetzt, angesichts einer so üblen Wendung der Sache, schon woandershin tendierten. »Nein, so was tut man nicht«, als ob sie nicht auch vorher schon gewusst hätten, dass er auf ebendiese Weise an die Macht gekommen war, mit Schießereien, und so funktioniert das seit Anbeginn der Welt, die Macht ist schließlich nicht rein, sagte Großmutter. Wer rein ist, kommt nicht an die Macht, der sucht sich ein anderes Metier, der strebt nicht nach der Macht. Die Macht funktioniert so, und solang man fest im Sattel sitzt, sagen alle, dass man nichts damit zu tun hat, dass man da bloß hineingezogen wurde. Ja, das sind alles nur Verleumdungen, erfunden von Feinden, um einen unglaubwürdig zu machen. Aber sobald man auch nur eine Spur von Schwäche zeigt, schreien die, die vorher so getan haben, als wäre nichts, sofort: »O nein, so was tut man nicht«, und das sind dann die ersten, die über einen herfallen.
Und so sah das Ende 1924 für Mussolini aus. Allein wie ein Hund. Die letzten Tage des Jahres lief er wie ein Wahnsinniger durch die Präsidentschaftsräume. Bleich wie ein Leichentuch lief er durch die Gänge, und die Wachposten erwarteten jeden Moment, einen Pistolenschuss aus seinen Räumen zu hören, wenn er allein war.
Und so kam es, dass – zwischen Weihnachten und Silvester, während er zwischen Leben und Tod schwebte, zwischen Flucht und Kapitulation – Italo Balbo plötzlich dort in den Präsidentschaftsräumen auftauchte zusammen mit einer Schar anderer Granden, die er zusammengestellt hatte, und ihm klipp und klar sagte: »Jetzt reicht’s, du musst dich zur Wehr setzen. Und wenn du es nicht tust, im Guten oder im Bösen, dann tu ich es, und dann nehm ich mir die Macht.«
Er zögerte noch, wirkte wie ein kleiner Junge: »Aber die Opposition …«
»Zum Teufel mit der Opposition!«, setzte Balbo ihm zu: »Wozu haben wir denn die Macht ergriffen, wenn wir sie bei der erstbesten Gelegenheit wieder abgeben?«
Und er schöpfte Mut. Straffte sich in den Schultern – auch um den anderen Granden nicht zu zeigen, dass er vor Balbo Angst hatte –, und ein paar Tage später, am 3. Januar 1925, hielt er vor der Kammer die Rede, in der er sagte: »Jetzt reicht’s, die Verantwortung für den Fall Matteotti übernehme ich, aber wer drin ist, ist drin, und wer draußen ist, ist draußen: Ich löse die Parteien auf, ich schließe die Zeitungen und erlasse Sondergesetze. Von jetzt, von heute an
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