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Canale Mussolini

Canale Mussolini

Titel: Canale Mussolini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pennacchi Antonio
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Das Rote Biennium dauerte jedenfalls das ganze Jahr 1920 hindurch – 1919 hatte es angefangen – bis ins Jahr 1921, und da war es noch schlimmer, denn da begann der Rückfluss, wie Lenin es nannte. (Ich weiß nicht, ob Sie wissen, dass Lenin und Mussolini sich vor dem Krieg in der Schweiz kennengelernt hatten – mittellose Exilanten alle beide –, 1903 oder ’04. Sie sind sich in Lausanne begegnet, da war es voll mit Revolutionären, die einander, wenn sie sich auf der Straße begegneten, fragten: »Kannst du mir einen Franc leihen?« Ich weiß nun nicht, ob Lenin dabei war, als Mussolini mit der Uhr in der Hand Gott herausforderte – »Komm und töte mich mit deinem Blitz«. 1917 aber machte Lenin die Revolution in Russland und ergriff die Macht, und als Mussolini das in der Zeitung las, sagte er sich: »Sieh an, der Lenin, sieh mal einer an, das freut mich für ihn.« Als hingegen er 1922 den Marsch auf Rom machte und hochkam, da sagte Lenin zu Stalin: »Sieh an, der Mussolini. Ich hab doch immer gesagt, dass der einzige Revolutionär in Italien er ist.« Und war richtig wütend auf die italienische Linke, die ihn sich hatte entwischen lassen.)
    Aber neben dem Rückfluss auf ihrer Seite gab es unsere Reaktion, und jetzt war das ein Kampf bis aufs Messer, mit Schießereien, Toten und Verletzten. Die Roten auf der einen, die Schwarzen auf der anderen Seite. Und wir waren mit den Schwarzen – ja, wir waren die Schwarzen –, und einmal kamen meine Onkel auch zurück, und Onkel Pericle lag auf der Ladefläche des Karrens. Turati, der Hund lenkte den Wagen, und als meine Großmutter von weitem sah, dass er und nicht Onkel Pericle auf dem Kutschbock saß, raufte sie sich die Haare, aber ohne ein Wort zu sagen, ohne einen Ton; sie wartete nur, die Hände in den Haaren, bis der Wagen anhielt, und Turati, der Hund hatte schon von weitem gerufen: »Keine Sorge, Mama, es ist nichts.«
    »Mir geht’s gut, mir geht’s gut«, stöhnte auf dem Karren Onkel Pericle mit Grabesstimme, während Onkel Temistocle ihn warnte: »Nicht bewegen!«, und ihn festhielt.
    Diesmal hatten sie ihn jedenfalls an der Seite erwischt, eine Kugel in eine Seite. Sie war eingedrungen und wieder ausgetreten und hatte ein Durchschussloch hinterlassen. Als der Arzt am Abend kam und es sah, sagte er: »Man kann nur hoffen, dass die Wunde sich von selbst wieder schließt!« Verarztete ihn äußerlich und fertig.
    Mein Onkel blieb einen Monat lang bei Hühnerbrühe im Bett, aber er fühlte sich immer schlapper; alle dachten, da ist nichts mehr zu machen, und Großmutter sagte: »Der Pfarrer war’s, der Pfarrer war’s. Ich hab’s doch gesagt, dass es nichts Gutes bringen kann, wenn man einem von ihnen den Respekt verweigert«, bis sie eines Abends eine Kerze anzündete und zu beten anfing. In der darauffolgenden Nacht stand er auf, tastete sich an den Wänden entlang in die Küche hinunter, zündete die Petroleumlampe an, sah neben dem Herd den Topf mit einem Rest Bohnen und auf der Kredenz einen Teller mit aufgeschnittener Polenta, fein säuberlich mit einem feuchten Tuch zugedeckt, und er aß Polenta und Bohnen. Am nächsten Morgen sagte er: »Ich bin wieder gesund«, und ging zum Melken in den Stall.

    Tatsache ist, dass meine Onkel sich 1920 dem Fascio in Ferrara anschlossen und nun jeden Tag mit LKW s, diesen 18 BL , die aus dem Krieg noch übrig waren, im ehemaligen Sumpfland von Ferrara über die Dörfer fuhren. In den zwei Monaten November und Dezember demolierten und brannten sie alles nieder, sämtliche Camere del lavoro, Parteibüros der Sozialisten und Ligen.
    Die anderen aber, die Roten, sahen nicht tatenlos zu. Sie schossen. Sie reagierten. Sie setzten sich zur Wehr. Aber von Tag zu Tag weniger. Die Auseinandersetzung hatte militärischen Charakter angenommen, Bürgerkrieg, ich hier, du da. Krieg ist Krieg, und jeder kämpft mit den Mitteln, die ihm zur Verfügung stehen – mit Zähnen und Klauen –, aber meine Onkel erzählten, diesen Streit, diesen Bürgerkrieg, hätten nicht sie angefangen, sondern die anderen. Und zwar nicht nur durch Beschimpfung der Soldaten, die aus dem Krieg heimkehrten, als ob sie die Verräter des Vaterlands und des Proletariats wären, sondern auch durch Schläge, Schüsse und Gewalt. Meine Onkel sagten: »Du warst es, der unseren pagliaio angezündet und die Fabriken besetzt hat, da sind die ersten Gewehrschüsse gefallen, da hat es Tote und Verletzte gegeben.«
    Und so wurde die Auseinandersetzung

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