Canale Mussolini
draußen und auch drinnen niemand – alle waren schon auf die Felder hinausgelaufen –, auch Licht brannte keins. Mein Onkel hielt das Feuerzeug an die Zweige, die das Dach bedeckten, und steckte sie in Brand. Im Nu brannte alles lichterloh, mit einer einzigen Stichflamme, wie unser pagliaio .
»Neieieiein!«, hörte man von den Feldern ringsum entsetzte Frauenstimmen kreischen. »Mörder«, schalten sie meine Onkel kreischend.
»Wer Feuer sät, erntet Feuer«, erwiderte Onkel Pericle. »Macht das mit dem Pellegrini aus, der hat bei uns Feuer gelegt«, und dann ab nach Hause.
Zu Hause wartete aber schon Großmutter, die bemerkt hatte, dass Bissola fehlte. Bevor der Karren noch im Hof zum Stehen gekommen war, stürzte sie sich darauf, mit der einen Hand hielt sie Bissola fest, und mit der anderen setzte es Schläge auf den Kopf. Aber feste Schläge auf den Hinterkopf, in den Nacken: »Ich hatte dir gesagt, du sollst nicht gehen!«
Die aber verzog keine Miene, schrie und heulte nicht, wartete nur still ab, dass der Wutausbruch vorüberging.
Und je weniger sie schrie und heulte, umso wütender wurde meine Großmutter: »Ungezogenes, verstocktes Ding, die heult ja nicht mal. Die hat ja keinen Respekt«, und schlug weiter auf sie ein wie eine Furie.
Bis Onkel Pericle sagte: »Aber Mama, was soll denn all die Gewalt?«
Da hielt sie inne – »Pass nur auf, sonst kriegst du auch was ab«, sagte sie zu Onkel Pericle –, und sofort rannte Tante Bissola in ihr Zimmer, rieb sich den Kopf, und Tante Modigliana sagte zu ihr: »Erzähl, erzähl.« Und die ganze Nacht hindurch äfften sie das Gezeter nach: »Jesusmaria, Jesusmaria. Sie haben mich umgebracht, sie haben mich umgebracht«, lachten und schwatzten, auch mit den anderen Schwestern, die sich um das Bett geschart hatten.
Unser pagliaio schien niemanden mehr zu interessieren, das allein schien uns schon ausreichend Genugtuung. »Dann zahlen wir halt«, sagte mein Großvater. »Wir kaufen das Stroh auf Pump, dann zahlen wir halt dafür.« Damals hat uns jedenfalls niemand mehr einen pagliaio in Brand gesteckt. Im Gegenteil, wir fingen an, überall im Umkreis Camere del lavoro in Brand zu stecken. Das hatten wir nun gelernt.
Am nächsten Tag legten sich alle meine Onkel ein schwarzes Hemd an. Sie schickten die Frauen auf den Markt, einen ganzen Ballen schwarzes Tuch zu kaufen, und der Händler sagte zu meiner Großmutter: »Mein Beileid. Aber entschuldigen Sie, Signora, wie viele Leute sind denn bei Ihnen verstorben?«, denn damals trug man Schwarz nur zur Trauer, und so viel schwarzen Stoff hatte er noch nie auf einmal verkauft. Die Schwestern nähten dann die Hemden, und als sie sie alle miteinander anprobierten, sagte Tante Bissola: »Ihr seht aus wie ein Trupp Totengräber.«
Dabei waren sie mittlerweile ein eigener Aktionstrupp, Squadristen, und zogen mit anderen Squadristen, ihren Freunden, über die Dörfer. Im Haus lagen nun nicht mehr nur die beiden Jagdflinten herum, sondern Karabiner, Pistolen, Maschinengewehre, Handgranaten. Sogar die kleinen Jungs – auch die, die noch auf allen vieren unter dem Tisch herumkrabbelten – trugen bei uns zu Hause schon den Dolch zwischen den Zähnen.
Meine Onkel waren nun in Verbindung zum Fascio von Ferrara, und es war eine heiße Phase. Ende August – um genau zu sein, am 30. August 1930, auch wenn meine Onkel zu dem Zeitpunkt noch nicht wussten, dass die Sache sie in irgendeiner Weise angehen könnte – hatten in Turin die Arbeiter angefangen, Fabriken zu besetzen, was sich dann auf Mailand ausdehnte. Es war die Gewerkschaft der Metallarbeiter FIOM , die in den Fabriken Arbeiterräte eingesetzt hatte, genau wie die Sowjets. Die Revolution in Russland hatte eben stattgefunden, und sie wollten sie auch hier machen. Unterdessen hatten sie mit diesen Fabrikbesetzungen angefangen, damit sie – das Proletariat – die Fabriken übernehmen und die Besitzer zum Arbeiten schicken konnten. Das war so ungefähr dasselbe, was wir revolutionäre Syndikalisten ’14 in der Roten Woche auch gewollt hatten, und damals hatten sie gesagt: »Das ist unmöglich. Man muss hier haltmachen«, und so hatten wir verloren.
Jetzt hingegen waren sie es, die sagten: »Machen wir die Revolution, besetzen wir die Fabriken«, und dieser ganze Zeitraum – die zwei Jahre ’19 bis ’21 – wird nun in den Geschichtsbüchern das »Rote Biennium« genannt. Tagtäglich Streiks, Fabrikbesetzungen, Demonstrationen und gewaltsame Zusammenstöße.
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