Canale Mussolini
»und zwar mit Gewalt!« Das hatte sich bereits in der ganzen Emilia herumgesprochen und auch noch etwas darüber hinaus, und da verfiel er auf die Idee – außer sich mit den Sozialisten zu verstehen und sich mit ihren Führern in der Schenke sehen zu lassen –, eine Einheit Boy-Scouts aufzuziehen.
Außer sich vor Wut, war Balbo zum Bischof von Ferrara gerannt: »He, was sind denn das für Sperenzchen?«
Der hatte geantwortet: »Was soll ich da machen? Wir können ihm schließlich nicht mit dem Knüppel eins überziehen, wie ihr das macht. Wir sind die Kirche, wir beten und reden. Ich will sehen, dass ich mit ihm rede, sei beruhigt.« Und beruhigt ging Balbo davon. Es passierte aber nichts. Der Pfarrer von Comacchio ging weiter seinen Weg, unbeirrbar wie ein Muli, sowohl in seinen Sonntagspredigten als auch im Wirtshaus bei den Sozialisten. Und vor allem in der Pfarrei mit seinen Boy-Scouts.
»Was glaubst du, was mich das kratzt?«, hatte der Bischof von Ferrara gedacht, während er Balbo zur Tür begleitete. »Wir sind die Heilige Katholische Kirche und hatten den Fuß immer in mindestens zwei Steigbügeln, willst du sehen, dass eines Tages auch die nützlich für uns werden? Ich bin doch nicht blöd, gehe hin und sag ihm was«, denn vor allem wusste er – der Bischof von Ferrara –, dass Balbo nicht unbedingt zu den Seinen zählte, weil er Freimaurer war. Und nicht nur war er Freimaurer, er hatte auch lauter jüdische Freunde. In Ferrara waren es die Juden und die Freimaurer, die den Fascio aufbauten, sie machten Balbos Stärke aus, und mittlerweile war durch die Fusion von 1923 auch die gesamte Nationalistische Partei zum Faschismus übergegangen, und die setzte sich seit jeher vor allem aus Juden und Freimaurern zusammen. Von wegen Heilige Römische Kirche! In der ersten Regierung Mussolini hatte es allerdings auch ein paar Minister von der Katholischen Volkspartei gegeben – das war die damalige Democrazia Cristiana, wie Giolitti sie sich ausgedacht hatte, um sie schön von den roten Sozialisten fernzuhalten –, auch wenn Giolitti es später bereute, ihm behilflich gewesen zu sein. »Ich fürchte, da haben wir eine Dummheit gemacht«, sagte er zum König.
»Du! Ich nicht«, dachte der Savoyer. Und dachte weiter so bis April 1923, als Mussolini die katholischen Minister von der Volkspartei aus der Regierung hinauswarf: »Raus hier!« Ja, Anfang Juli setzte er durch – im Einvernehmen mit dem Vatikan, denn dort dürfte man auch gedacht haben, wie der Bischof: »Man weiß ja nie« –, setzte er durch, dass der Sekretär der Volkspartei, Don Sturzo, der für den Duce ein noch ärgeres rotes Tuch war als die Sozialisten für Giolitti, zurücktreten und sich ins Ausland in ein Kloster zurückziehen musste. »Komm, geh doch beten!«
Die Schraube wurde also angezogen, einzige Ausnahme war dieser Pfarrer von Comacchio, der weiterhin machte, was er für richtig hielt. »Jetzt auch Boy-Scouts?« – Balbo konnte nachts fast nicht schlafen deswegen. »Wie bring ich diese Sache ins Lot? Dieser Hund von Mussolini lässt auch nichts von sich hören!«
Wie bitte, was sagen Sie? Warum sie sich über Boy-Scouts aufregten? Was sie an den Wölflingen störte? Erstens, weil diese Leute Konkurrenz überhaupt nicht gern sahen. Welches Spiel auch immer sie spielten, sie wollten es allein spielen und stets gewinnen. Und jetzt sollten sie sich von den Pfarrern Konkurrenz machen lassen? Die Erziehung der jungen Leute, das war ihre Sache, nicht die der Kirche. Dem Pfarrer sollten sie sie überlassen? Aber der sollte sich um seine Gebete und Messen kümmern. Der Pfarrsaal genügte ihm nicht? Jetzt auch noch Boy-Scouts mit Uniform, Mannschaften, Hut, Fahrtenmesser und Mannschaftsführer? Ist er jetzt etwa Paramilitär geworden? Schwadronen auch für ihn? Hatten wir nicht genug an unseren Schwarzhemden, den Blauhemden der Nationalisten, den Rothemden der Arditi del Popolo? Jetzt also auch noch die weißen Hemden vom Papst? Wo soll das hinführen?, müssen die beim Fascio sich gesagt haben. »Don Sturzo war wohl nicht genug, fehlte noch der Pfarrer von Comacchio mit seinen Soldaten.«
Was sagen Sie? Es sei lächerlich, dass sie sich um die Kinder Gedanken machten, den Club di Topolino, die Wölflinge, Umweltschutz, Gewaltfreiheit, Halstücher mit Knoten und Zeltlager im Wald? Aber Sie dürfen das doch nicht von heute aus betrachten. Vielleicht war es ja damals auch schon so, und der junge Späher war letztlich nichts als ein
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