Canale Mussolini
Wenn Sie hineinfallen, tötet er Sie auf der Stelle durch die bloße Wucht der Wassermassen, noch bevor Sie ertrinken können. Tatsächlich gibt es in den Bars von Latina die Redensart: »Dich soll doch früher oder später der Canale Mussolini erschlagen.«
Acht Jahre brauchten wir, um die einunddreißig Kilometer des Kanals auszuheben, von 1928 bis 1935. Meine Onkel haben daran mitgearbeitet. Als wir ankamen, war der Kanal noch nicht zur Gänze ausgehoben, sondern nur der erste Teil – von den Lepiner Bergen bis zum Moscarello-Graben –, und das auch nur zur Hälfte, nur die linke Seite des Profils. Alles Übrige und von dort bis zum Meer, das haben meine Onkel gegraben, natürlich zusammen mit den anderen Arbeitern und Siedlern.
Vier Tosi-Bagger waren im Einsatz, außerdem zwei Ruston und ein Bucjrus-Seilbagger. Die letzten drei werden Sie schon einmal gesehen haben, sie hatten eine würfelförmige Kabine, davor den Ausleger, an dem mit einem Seil der Greifer befestigt war. Aber das Gros der Arbeit am Canale Mussolini haben die Tosi-Schürfkübelbagger bewältigt. Das waren riesige und sehr lange Maschinen, die aussahen wie Drachen – und wurden tatsächlich auch so genannt – oder wie enorme Tausendfüßler: praktisch eine Reihe von Schürfkübeln an einer langen Kette, die in der gewünschten Neigung hintereinander herliefen, so dass das unten am Grund ausgehobene Erdreich nach oben transportiert und dort auch sofort abgeladen wurde, und während unten ausgehoben wurde, wuchsen dergestalt gleichzeitig die Seitenwände schon in die Höhe. Die vier Tosi-Bagger waren elektrisch betrieben – es war ein Unternehmen für sich gewesen, die Kabel von Cisterna bis dorthin zu führen –, und jeder war für einen Abschnitt zuständig. Manchmal begegneten sie sich, wie beim Tunnelbau, und wenn das geschah, wurde groß gefeiert unter den Mannschaften. Dann wurden sie zerlegt und anderswo wieder aufgebaut.
Auf unserem Abschnitt aber – das heißt, die sechs oder sieben Kilometer zwischen der Via Appia und der Babbaccio-Brücke – wechseln sich unter der oberen Humusschicht Abraum von Tuffgestein, Travertinkonkretionen und Kalksteinschichten aus den Lepiner Bergen ab. Hier kamen die Tosi-Bagger nicht durch, das Felsgestein konnten sie nur eben ankratzen. Also öffneten wir diesen Abschnitt durch Sprengung mit Dynamit, und erst wenn das Gestein durch die Explosionen gelockert war, konnten die Bagger weitermachen. Wenn Großmutter diese Schläge hörte, bum, bum , mitten in der Nacht – denn es wurde auch nachts gearbeitet, bei Scheinwerferlicht –, sagte sie zu Onkel Pericle: »Wann seid ihr denn endlich fertig?« Als ob das seine Schuld wäre.
Beim Graben stieß man hin und wieder auf Sachen. Da waren Archäologen aus Rom – bedeutende Professoren wie Lugli oder auch Carlo Alberto Blanc –, die die Grabungen sukzessive begleiteten. In Torre Annibalda, nach der Seite zur Marchi-Brücke hinüber, fand man römische Mosaiken, die Schwimmer darstellten. Sie nahmen alles ab und schafften es fort, aber man weiß nicht, in welchem Museum es gelandet ist. Verschollen. Bei Borgo Santa Maria hingegen – das damals Gnif-Gnaf genannt wurde, weil da ein Sumpf war, in dem die Schuhe und auch die nackten Füße beim Gehen immer gniff-gnaff machten – fand Blanc am Kopfende der Grabung, knapp bevor der Tosi mit seinen Schürfkübeln es erfasste, ein vollständiges Mammutskelett. Aber im Allgemeinen – bei Mauerresten, Gräbern oder weniger bedeutenden Scherben – sagten die Archäologen, die ja Römer waren: »Na schön, das ist nicht so wichtig, macht ruhig weiter.« Ja, was sollten wir denn sonst tun? Wir mussten Sümpfe trockenlegen, wir konnten uns schließlich nicht mit Scherben aufhalten. Wenn wir es auch so gemacht hätten wie beim U-Bahn-Bau in Rom, »würden wir noch heute alle unter Wasser stehen«, sagte Onkel Adelchi.
In der Mitte der Grube aber – auf dem Grund, wenn die Tosi fertig waren – gruben wir von Hand, mit Schaufeln und Pickeln im Sommer, mit Spaten und Brechstangen im Winter, die Rinne fürs Niedrigwasser, die sogenannte Trockenwetterrinne, die Sie jetzt, in den Sommermonaten, mit Wasser gefüllt sehen. Dieser künstliche Kanal wurde nicht nur von Hand ausgehoben, sondern auch mit Stein gepflastert. Stein für Stein verlegt und im Schotterbett mit Kalk und Beton verfugt, um zu verhindern, dass das von den Ufern oder aus Quellen sickernde Wasser in Zeiten niedriger Wasserstände den Untergrund
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