Canale Mussolini
hatte der Sumpf gesiegt. Kein Reisender des 18. und 19. Jahrhunderts, ob Goethe, Stendhal oder Madame de Staël, der versäumt hätte, nach seiner Rückkehr ganz Europa von dem Elend und dem Tod in den Pontinischen Sümpfen zu berichten. Dann aber kommen der Duce und Rossoni, beschließen, den Canale Mussolini auszuheben, und wo Julius Caesar, Pius VI . und Napoleon gescheitert waren, legen sie in null Komma nichts alles trocken.
Es ist der Canale Mussolini, der das Leben im Agro Pontino ermöglicht, und seinetwegen – weil es ihn nicht gab – sind alle früheren Versuche gescheitert. Gleich hinter Rom erstreckt sich – wenn Sie sich die Landkarte anschauen – vom Tiber abwärts ein etwa neunzig Kilometer langes, schmales Rechteck, dessen Längsseiten auf der einen Seite vom Tyrrhenischen Meer und auf der anderen Seite von dem Gebirgszug aus Albaner Bergen, Lepiner und Ausoner Bergen gebildet werden. Ganz unten dann – neunzig Kilometer von Rom entfernt – der Circeo-Felsen und der Felssporn von Terracina. Der erste Teil dieses Rechtecks allerdings, vom Tiber bis zum Fluss Astura, heißt eigentlich Römische Campagna und ist etwa fünfzig Kilometer lang. Dieser Teil war nicht versumpft, weil er nicht wirklich eben war, ständig wechselten sich hier kleine Erhebungen, Hügelrücken und Mulden ab. Auch das war nicht das Paradies, weil das Wasser hier oft stagnierte, Morast und Pfützen bildete, von denen die Malaria ausging. Ein hartes Leben, keine Frage, aber es waren doch nicht die Pontinischen Sümpfe, die den übrigen Teil des Rechtecks ausmachten und die jetzt der »erlöste Acker« sind, wie der Duce sagte. Und das ist über vierzig Kilometer Länge eine komplett ebene Fläche – Hic sunt leones , wie die alten Römer sagten – bis nach Terracina.
Dort, wo die Lepiner Berge enden, gleich an ihrem Fuß, beginnt die Ebene, die immer flacher bis zum Tyrrhenischen Meer hinübergeht. Vorher gibt es da jedoch eine leichte Erhebung – fünf oder sechs Kilometer lang –, die sie parallel zur Küste der Länge nach ganz durchzieht, wie eine Wirbelsäule. Diese leichte Auffältelung wird »Quartärdüne« genannt, und hier brach sich einst, vor vier- oder fünfhunderttausend Jahren, das Meer. Dann verlagerte es sich und warf, mit jeder Woge neuen Sand anspülend, ein paar Kilometer von der alten entfernt eine neue Düne auf – den heutigen Küstenverlauf. Zwischen der alten Quartärdüne aber und dieser neuen bildete sich eine Art flache, ein paar Meter unter dem Meeresspiegel gelegene Wanne, die das Regenwasser nicht absorbieren konnte und wo daher eine Reihe von Seen, Tümpeln und Küstensümpfen entstand. Jenseits der Via Appia, zwischen Mesa und Terracina, gibt es noch ein solches unter dem Meeresspiegel gelegenes Gebiet, Quartaccio di Mazzocchio genannt, das regelmäßig durch die Flüsse Ufente und Amaseno überschwemmt wird.
Wie bitte, was sagen Sie? Ob das die berühmt-berüchtigten Pontinischen Sümpfe waren? Nein. Sumpf heißt nicht, dass alles unter Wasser steht. Lateinisch palus , oder paludem im Singular, heißt tatsächlich Tümpel, Teich, überschwemmtes, unter Wasser gesetztes Land. Im Plural aber, paludes , ist das eine Mischung aus Sumpf und überschwemmtem Land, wozu jedoch auch ausgedehnte, frei liegende Flächen gehören, überwuchert aber von undurchdringlichen Wäldern, Schluchten, Gestrüpp, Tieren und Unterholz. Und in den Wäldern und im Dornengestrüpp weitere Tümpel, piscine genannt, vor allem auf der Quartärdüne, denn in der kleinsten Mulde – deren oberste Schicht aus Schiefer bestand – blieb das Wasser, war sie erst einmal vollgelaufen, die Wintermonate über stehen, faulte und moderte dort bis tief in den Sommer hinein vor sich hin.
Aber das war noch nicht das Schlimmste, die Unmöglichkeit solcher unter dem Meeresspiegel gelegener Gebiete nämlich, das Regenwasser zu absorbieren oder auch das Grundwasser, das in Form von Quellen aus dem Schichtgestein am Fuß der Lepiner Berge austrat.
Das wirklich Schlimme war dieser Piscinara genannte größere Teil der Ebene, der vom Fuß der Berge leicht abfallend bis zur Quartärdüne reichte. Bis hierher nahm das Wasser fröhlich und munter seinen Lauf in Richtung Meer. Aber vor diesen letzten acht Kilometern, vor dieser ganz leichten Erhebung kam es zum Stehen, denn Wasser kann bekanntlich nicht von selbst aufwärts fließen. Die einzige Möglichkeit, zum Meer zu gelangen, war also, sich einen Umweg zu suchen, den auf der
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