Canale Mussolini
Nord-Süd-Achse in Richtung Terracina. Das waren aber vierzig Kilometer und ganz in der Ebene – mit einem minimalen Gefälle von nur zwei Metern –, Sie werden also begreifen, dass dieses Wasser jede Vorstellung vom kürzesten Weg, jeden Traum von Geschwindigkeit einbüßte und schön brav stehenblieb.
In diesen Teil der Ebene ergossen sich überdies nicht nur die Flüsse und Bäche der Lepiner Berge – was an sich schon schlimm genug war –, sondern vor allem die Wasser von außerhalb der Sümpfe, wie der Fluss Teppia und der Fosso di Cisterna sie heranführten. Das sind alles »Oberwasser«, das heißt, sie kommen von oben, von unseren Bergen und von den Albaner Hügeln, und wenn sie freie Bahn hätten, würden sie direkt ins Meer fließen. So aber, von der Quartärdüne aufgehalten, überschwemmten sie schon ab Mitte Herbst die gesamte Ebene der Piscinara über Kilometer und Kilometer, von Cisterna bis Borgo Faiti und noch weiter, bis sie sich mit dem Sumpf von Quartaccio verbanden. Und dort blieben sie dann über ein halbes Jahr lang stehen.
Die alten Römer – und man weiß nicht, ob Nero oder vielleicht doch die alten Latiner – hatten in der Mitte der Ebene, ungefähr dort, wo heute die Plasmon-Fabrik steht, die Quartärdüne mit einem Kanal durchstochen, der den Fiume antico mit den Küstenseen und dem Meer verband. Es ist die Tiefe dieser – absolut grandiosen – Grabung, was an Nero denken lässt, der ja auch den Kanal von Korinth ausheben ließ. Der schreckte vor nichts zurück, dieser Nero. Doch dann wurde er ermordet. Der Kanal von Korinth wurde nicht fertiggestellt, und unser Kanal durch die Düne, der Rio Martino heißt, verlandete, und es musste erst Mussolini kommen, um ihn erneut auszuheben und wieder in Funktion zu setzen. Doch das reichte auch nicht, und zu unserer Zeit überschwemmte das Wasser bei Regen immer wieder die gesamte Ebene, und es waren trübe Gewässer aus dem Tuffgestein der Albaner Berge. Der Fosso di Cisterna und vor allem der Teppia rissen, wenn sie starke Strömung hatten, das Erdreich von den Hängen weg und führten es mit. In der Ebene dann, wenn die Geschwindigkeit geringer wurde, lagerte es sich ab, die Sedimente häuften sich und bildeten weitere Hindernisse, und die Piscinara versumpfte, stand unter Wasser, bis unter Mückenschwärmen und in der Augusthitze auch die letzten Wasserreste verdunsteten. Aber bald schon kam der November, und dann ging es wieder von vorne los.
Deshalb lässt der Fascio als Erstes am Nordrand der Ebene einen großen Kanal graben, der die vom Gebirge kommenden Wasser einsammelt, bevor sie sich in das Sumpfgebiet ergießen. Ein Bollwerk, eine Barriere: Bis hierher und nicht weiter. Und der Canale Mussolini, der in einem gewissen Abstand am Fuß der Lepiner Berge entlangfließt und dann nach Süden abbiegt, durchzieht die gesamte Ebene und nimmt nach und nach den Teppia auf, den Fosso di Cisterna und alle anderen Flüsse, die von den Albaner Bergen kommen. Er fasst sie alle zusammen, dann durchschneidet er die Quartärdüne und führt sämtliche Wasser direkt ins Meer. Sie sollten allerdings bedenken: Wenn man fosso , »Graben« sagt, also Fosso di Cisterna oder auch Fosso di Femminamorta, dann ist das nicht mit den Gräben zu vergleichen, wie Sie sie bei sich zu Hause finden können. Das hier sind wirkliche Flüsse mit Wildbachcharakter, die aber das ganze Jahr über Wasser führen – Quellwasser aus den Albaner und Lepiner Bergen –, auch in den Sommermonaten, und wenn es regnet, werden sie furchtbar reißend. Sie versumpften alles ringsum, sonst hätte es hier ja nicht die Sümpfe gegeben, und wir würden diese Geschichte auch nicht erzählen.
Es ist der Canale Mussolini, der das Leben im ganzen Agro Pontino ermöglicht, und ohne ihn stünden wir noch immer alle unter Wasser. Sie dürfen nicht von diesem sechs Meter breiten Rinnsal ausgehen, das Sie im Sommer da unter der Brücke durchfließen sehen. Sie müssen den Kanal im Winter sehen oder während der großen Hochwasser im Herbst oder im Frühjahr, randvoll von Uferdamm zu Uferdamm – gute achtzig Meter ist er breit –, eine einzige Wand aus rötlichem, trübem Wasser, das läuft und sich überschlägt, mächtig und laut brüllend. Glauben Sie mir, es macht wirklich wwwrrooff , wie wenn man in einer Fabrik an den Heizkesseln die Dampfventile aufdreht. Tausend Kubikmeter Wasser in der Sekunde bei Hochwasser. Bedenken Sie, welche Geschwindigkeit, welche Masse, welche Gewalt.
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