Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Canale Mussolini

Canale Mussolini

Titel: Canale Mussolini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pennacchi Antonio
Vom Netzwerk:
es auch geblieben waren. Onkel Pericle legte sich so sehr ins Zeug – »Ich garantiere für ihn!« –, dass man ihm in Borgo Hermada einen Siedlerhof gab, auch wenn es am Anfang beim Fascio geheißen hatte: »Aber Peruzzi, bist du wirklich sicher? Wir von uns aus würden ihn ja eher nach Ponza in die Verbannung schicken.«
    Onkel Pericle nahm nach und nach alle mit, die mitkommen wollten, er hätte sich auch den Kirchturm von Codigoro umgeschnallt, um ihn nicht dort oben zu lassen: »Fahrt doch alle zur Hölle, Norditalien und die Zorzi Vila.« Und da sollte er nicht auch die Vettern mitnehmen, die Söhne vom Bruder seines Vaters? Aber vielleicht wollten sie gerade deswegen nicht mitkommen: »Besser hier arm als dort ein Leben von Pericles Gnaden.«
    Jedenfalls waren es die Vettern Peruzzi – mit ihren eigenen und geborgten Fuhrwerken –, die uns in der Nacht mit Kind und Kegel nach Rovigo brachten. Und einer von ihnen blieb bis zum Abend, um uns Gesellschaft zu leisten und uns in der Dämmerung mit dem Taschentuch nachzuwinken, zusammen mit den Milizionären, als sich der Zug unter den ersten Regentropfen in Bewegung setzte.
    Und nach dem ersten sch, sch, sch , kaum heraußen aus dem Bahnhof, fing es auch schon an, in Strömen zu regnen. Und die Liebsten – die in großer Zahl auf der Böschung an den Gleisen entlang aufgereiht standen – schwenkten im strömenden Regen und in der hereinbrechenden Nacht unermüdlich weiter ihre Taschentücher. Nur vereinzelt hörte jemand auf und legte sich das Tuch auf den Kopf, aber sobald es durchnässt und zu nichts mehr nutze war, schwenkte er es wieder in Richtung meiner Tanten, die langsam entschwanden, die lehnten sich ihrerseits alle weit zum Fenster hinaus und winkten aus Leibeskräften mit ihren Tüchern. Dann ließen die Tanten sich auf die Sitzbänke fallen und weinten – sowohl die noch ledigen Frauen als auch die verheirateten, vor allem aber die unverheirateten mit einem ledigen Kind bei sich –, und jemand stimmte das Lied an:
    Ich geh hinaus auf meinen Balkon
    und seh den Zug.
    Im letzten Waggon
    ist meine Liebste.
    Im letzten Waggon
    ist meine Liebste
    und winkt mit dem weißen Taschentuch
    mir zum Abschied zu.
    Mit dem weißen Taschentuch
    winkte sie mir,
    und mit dem Mund
    schickte sie mir Küsse.
    Auch Großmutter weinte, aber ohne dass man es merkte, tränenlos. Großmutter weinte nur innerlich.
    Bis Ferrara regnete es, dann weiter bis Bologna. Es regnete in der gesamten Poebene. Erst hinter dem Apennin – als wir mitten in der Nacht in der Toskana rauskamen, auf dem Bahnsteig im Bahnhof Florenz, an den Tischen der faschistischen Frauen mit Milchkaffee – hörte es auf zu regnen. Aber während der Regen an den Fensterscheiben hinunterlief, sie schliefen oder dösten und hin und wieder aufwachten, hatten meine Tanten bis Bologna immer wieder zueinander gesagt: »Aber schau dir doch nur diese Verrückte an.«
    Sie regten sich auf über ihre Schwägerin, die Frau von Onkel Pericle, die nicht in den Personenwaggon gestiegen war, sondern darauf bestanden hatte, bei den Männern zu bleiben – wie sie zu dem ihren sagte –, im Güterwaggon, zusammen mit dem Zeug und dem Vieh, in Wirklichkeit aber, um bei ihren Bienen zu bleiben. Oder genauer gesagt, sie hatte auch versucht, sie in den Personenwaggon mitzunehmen – »Was soll schon sein?« –, das Bienenhaus hatte sie mit einem Netz abgedeckt, damit die Bienen drinnen blieben, und mit einem dunklen Tuch, damit sie nicht zu viel Zugluft abbekamen. Und hatte es mit einem Haken an der Gepäckablage aufgehängt. Aber alle anderen Frauen – die der anderen Familien – und der Bahnbeamte hatten das nicht gewollt. »Bienen sind gefährlich.«
    »Wieso denn gefährlich?«, erwiderte sie. »Ich achte schon auf sie.«
    »Sie sind gefährlich, sind gefährlich«, schrien die anderen Frauen beim kleinsten Summen; und es ist bekannt, dass Bienen umso mehr summen, je besser sie zugedeckt sind und je wärmer sie es haben, denn da gibt es eigene Bienen, die mit den Flügeln schlagen, um die Luft innerhalb des Bienenstocks in Bewegung zu halten. Eine der Mambrin-Frauen, die im fünften oder sechsten Monat schwanger war, wollte die Miliz rufen, dabei war sie doch halbwegs mit uns verwandt.
    Unsere Frauen dagegen – die Schwägerinnen – schwiegen, waren formal auf ihrer Seite; aber bei sich dachten sie, dass die anderen recht hatten. Seien wir ehrlich, in unserer Familie hatte man nie etwas mit Bienen zu tun gehabt,

Weitere Kostenlose Bücher