Canard Saigon (German Edition)
Gartner hat die Klage nicht erhoben.“
„Das konnte der Doktor nicht wissen. Nach deiner Vermutung stellte sie eine akute Bedrohung dar“, sagte Marc. „Ich schließe ihn als Täter aber nicht aus. Er ist gerissen und intelligent. Auffallend waren seine fast flehenden Bitten um Diskretion. Seine Anrufe auf dem Handy von Maricela Rodriguez nach ihrer Ermordung könnten eine raffinierte Verschleierungstaktik sein. Er passt wirklich gut ins Profil. Aber er hat ein Alibi. Trotzdem ist er für mich der Hauptverdächtige. Ich sehe das ganz pragmatisch, denn Herr Dr. Klein ist die beste Spur, die wir bis jetzt haben. Also werden wir uns auf ihn konzentrieren.“ Marc legte eine kleine Pause ein und sah in die Runde. „Gibt es noch Fragen?“
Einige Kollegen schüttelten den Kopf und Marc beendete die Sitzung.
Wien, Sonntag, 18. April 2010, 13.50 Uhr
Marc Vanhagen fuhr mit seinem Dienstwagen in eine Parklücke in der Südportalstraße. Um diese Zeit war nicht viel Verkehr, und so hatte er gleich einen Parkplatz gefunden, nicht weit vom Wurstelprater entfernt. Marc stellte den Motor ab, blieb aber im Wagen sitzen. Er nahm sein Handy und wählte die Nummer seines Sohnes. Michael meldete sich, und Marc fragte ihn sofort nach seinem Befinden. Wider Erwarten war Michael gut gelaunt. Marc fragte ihn, wie die Geschichte mit dem Trainer abgelaufen sei. Michael erzählte ihm, dass ihn der Trainer ohne Kommentar auf die Ersatzbank gesetzt hatte. Aber er hatte sich seinen Ärger nicht anmerken lassen. Zehn Minuten vor dem Abpfiff, beim Spielstand von null zu drei, wurde er eingewechselt und erzielte prompt den Ehrentreffer. Nach dem Schlusspfiff hatte er den Trainer angegrinst, sich umgezogen und wortlos die Kabine verlassen. Michael meinte nur, jetzt könne sich jedermann ein Bild von der Situation machen. Marc war erleichtert über die gute Laune seines Sohnes. Manchmal regeln sich Probleme von allein, dachte er. Er war froh, dass er diesmal nicht als Schutzmacht für seinen Sohn auftreten musste. Marc beendete das Gespräch, steckte das Handy ein und stieg aus dem Wagen. Während er zum Wurstelprater eilte, bewunderte er die Parkanlage zu seiner Linken, mit ihren mächtigen Bäumen. Der Rasen war in gepflegtem Zustand, obwohl hier nachts reger Verkehr herrschte. Ab 22 Uhr blühte auf diesem Abschnitt der Straßenstrich. Frühmorgens rückte ein Trupp der städtischen Reinigung aus, um gebrauchte Kondome und fallweise auch Spritzen einzusammeln. Und tagsüber erstrahlte der Park wieder in seiner natürlichen Schönheit.
Marc bog links in den Wurstelprater ein und eilte, an den Vergnügungsbetrieben vorbei, in Richtung Schweizerhaus. Er würde fünf Minuten zu spät kommen. Das ärgerte ihn, war aber nicht zu ändern. Am weit offenen, schmiedeeisernen Tor des Gastgartens angekommen, rief er Max Meisner an. Dieser lotste ihn per Handy durch den riesigen Schanigarten zu dem Tisch, an dem er saß.
Max Meisner erhob sich von der Heurigenbank, begrüßte Marc und bot ihm den Platz gegenüber an.
„Essen Sie auch etwas, Herr Oberst?“
„Oh ja, ich bin so hungrig, dass die großen Gedärme bereits an den kleinen knabbern. Ich werde mir eine gebratene Stelze und ein Krügerl Budweiser bestellen.“
„Ich merke, Sie sind öfter hier“, sagte Meisner und winkte einem Ober. „Und Sie wissen, was gut ist.“ Er bestellte zwei Stelzen mit Senf und Kren, zwei Bier und ein Körberl mit Salzstangen.
„Im Schweizerhaus gibt es die besten Stelzen der Welt. Die anderen Speisen sollen auch gut sein, aber wenn ich hier bin, esse ich nur Stelze. Ich kann nicht anders.“
„Mir geht es genauso“, sagte Marc.
„Ja, Sie können sich das deftige Essen leisten. Aber ich sollte auf mein Cholesterin achten“, sagte Max Meisner und klopfte sich mit der flachen Hand auf den beachtlichen Bauch. „Meine Frau würde durchdrehen, wenn sie wüsste, dass ich im Schweizerhaus bin. Die hat mir zu Mittag gedämpften Fisch gekocht, deshalb bin ich nicht nach Hause gefahren. Gedämpften Fisch mit Gemüse! Verstehen Sie?“ Meisner verzog seine Lippen angewidert nach unten.
„Aber gesund!“, sagte Marc und lachte.
Meisner blickte ihn strafend an und nickte. „Und schmeckt nach eingeschlafenen Füßen.“
Während der Ober die Getränke brachte, beobachtete Marc sein Gegenüber. Max Meisner war ein Self-Made-Millionär. Er hatte als Maschinenschlosser in einer kleinen Werkstatt begonnen. Heute, mit seinen 58 Jahren, war er Herr über ein
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