Canard Saigon (German Edition)
nach wie vor jede Spur fehle. Und das seit einem halben Jahr. Er dürfte Österreich tatsächlich verlassen haben, was ihn als Täter ausschließen würde.
Marc betraute Paul mit der Aufgabe, gemeinsam mit Martin die Klubs, Studios und Bordelle der SM-Szene abzuklappern. Vielleicht war in den letzten Jahren jemand mit Neigungen zum vorliegenden Fesselmuster, in Verbindung mit Würgegriffen, aufgefallen.
Simon Hoffer konnte keine neuen Ergebnisse mitteilen, war aber zuversichtlich, am Montag einen entscheidenden Hinweis zu erhalten.
Nicole Sandmann berichtete von ihrem Treffen mit Krystyna Gartner.
„Über den Täter konnte Frau Gartner keine neuen Angaben machen. Aber jetzt, Kollegen, haltet euch fest. Woran, glaubt ihr, ist Alois Gartner verstorben?“ Sie legte eine Pause ein und sah triumphierend in die Runde. „An Schilddrüsenkrebs. Und wo wurde er operiert? Im Maria-Theresia-Spital. Und von wem?“ Wieder legte sie eine Pause ein, um der Antwort die nötige Bedeutung zu verleihen.
„Jetzt sag nicht von Dr. Klein!“, rief Martin.
„Aber genau von dem! Kandidat Martin hat 100 Punkte! Und jetzt kommt der Überhammer. Krystyna Gartner ist der Meinung, dass unserem Herrn Doktor ein Kunstfehler unterlaufen ist. Am 26. August suchte sie den Verwaltungsdirektor des Spitals auf und beschuldigte Klein, schuld am Tod ihres Mannes zu sein. Frau Gartner ist ein Temperamentsbündel und ließ ihrem Zorn freien Lauf. Lautstark drohte sie, den Patientenanwalt einzuschalten und sowohl das Spital als auch den Chirurgen zu verklagen. Sie verursachte einen derartigen Wirbel, dass Pfleger sie nach draußen begleiteten. Am Nachmittag desselben Tages wurde sie überfallen. Nach dem Angriff auf dem Parkplatz litt sie unter Angstzuständen und traute sich einige Wochen nicht auf die Straße. Zudem erklärte ihr der Patientenanwalt nach Prüfung der Sachlage, dass sich ein Prozess über Jahre hinziehen würde. Und der Ausgang wäre zweifelhaft. Das bewog sie, von einer Klage abzusehen.“
„Interessant“, sagte Marc. „Alle Hinweise führen in das Spital und zu Dr. Klein.“
„Aber der Doktor hat ein Alibi“, gab Simon Hoffer zu bedenken.
„Das wir noch nicht überprüfen konnten“, sagte Marc. „Nicole, besorg dir vom Spital die Dienstpläne aller Angestellten der letzten Jahre. Johannes und Fritz sollen die Daten in den Computer eingeben. Ich will wissen, wer vom Personal zum Zeitpunkt der Überfälle dienstfrei hatte.“ Marc drehte sich zur Pinnwand um, wo Thomas Gridler eben die letzten Informationen notierte. Ganz schön voll, dachte er.
„Thomas, kannst du bitte bis morgen die Pinnwand neu gestalten? Wegen meiner Schmierereien werden die Notizen langsam unübersichtlich“, sagte Marc in Anspielung auf seine fürchterliche Klaue. Er drehte sich wieder um und erteilte Sandra Kessler das Wort.
„Kollegen, ich komme gleich zur Sache“, sagte sie. „Bei Mordfällen erstellen wir üblicherweise Tatortanalysen und Tatortbeurteilungen. Bei Frau Rodriguez fehlt der Tatort, bei Frau Düzel stehen uns nur Fotos zur Verfügung. Diese Umstände erschweren eine Beurteilung der Spuren. Jedenfalls handelt es sich in beiden Fällen um denselben Täter. Und Ahmet Düzel kann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit als Täter ausgeschlossen werden. Er ist spurlos verschwunden, und die Augenzeugin konnte ihn doch nicht zweifelsfrei identifizieren. Auf den Abfallresten über der Leiche waren DNA-Spuren von unbekannten Personen, aber keine von Ahmet Düzel.“ Sandra legte eine Pause ein, strich über die Jacke ihres eleganten weißen Hosenanzuges und atmete einmal tief ein. „Der Täter ist hochintelligent und bestens organisiert. Er hatte am Beginn seiner Täterkarriere Glück, nicht erwischt zu werden. Bei seinen frühen Überfällen war er maskiert und hatte offensichtlich gut geplante Fluchtwege. Die Opferauswahl war durchdacht. Stark alkoholisierte Mädchen sind keine guten Zeugen. Im Juli des Vorjahres erlitt er einen oder mehrere Schicksalsschläge, die extremen Stress auslösten. Die Auslöser können beruflicher und/oder privater Art gewesen sein. Dieser Stress bewog ihn, seine Fantasien, die er jahrelang in seinem Kopf ausgemalt hatte, in die Tat umzusetzen. Der erste Versuch schlug fehl, aber er lernte daraus. Der Mord an Emine Düzel war ausgezeichnet geplant und durchgeführt. Aber er hinterließ einen Tatort. Der Täter erkannte wohl, dass er zu viele Risken einging, Spuren zu hinterlassen. Beim Mord
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