Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Candy

Candy

Titel: Candy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
Vom Netzwerk:
lehnte mein Gewicht gegen die Tür.
    Candy zog noch eine Weile weiter, aber die Tür würde sich jetzt nicht mehr öffnen. Candy hatte keine Kraft. Sie war erschöpft.
    Sie fing an zu heulen – Nein! Nein! Nein!   –, schlug mit den Händen gegen die Innenseite der Tür   – Nein! Nein! Nein! Nein! Nein!   …
    Ich atmete langsam, konzentriert auf den Schmerz im Bauch – ihn beruhigend, mich selbst beruhigend, meine Gedanken von Candys Verzweiflung fern haltend. Ich konnte ihr nicht zuhören. Es schmerzte zu sehr. Alles schmerzte.
     
    Sie schrie noch eine Weile und hämmerte gegen die Tür, aber nach |333| und nach machte sich Erschöpfung breit. Das Schreien schwächte sich zu einem Schluchzen ab, das Schluchzen zu einem Wimmern und schließlich verstummte sie ganz. Ich hob den Kopf und sah sie an. Sie stand nur da, schlaff und verzweifelt, und starrte ins Leere.
    Ich streckte die Hand aus und berührte ihr Bein.
    Sie reagierte nicht.
    »Candy?«, sagte ich.
    Sie schaute zu mir herab. Ihr Gesicht war tränenüberströmt und eingefallen. »Es tut mir Leid, Joe«, sagte sie schwach. »Es tut mir Leid   …«
    Ich hielt die Hand ausgestreckt. Sie nahm sie und sank neben mir auf den Boden. An ihrer Hand war Blut von einem abgebrochenen Fingernagel. Ich leckte meinen Finger nass und wischte es weg.
    Sie sah mich an.
    Ich sagte: »Du hast dich verletzt.«
    Sie nickte und fing an zu weinen. Ich nahm sie in die Arme, schloss meine Augen und versuchte den Schmerz zu verscheuchen.
     
    Der Rest des Tages verlief relativ ruhig. Ich räumte das Schlafzimmer auf und schickte Candy wieder ins Bett, danach ging ich durchs Haus und räumte das Chaos auf, das sie veranstaltet hatte. Es war schwer zu glauben, dass sie, während ich draußen saß und mich bemitleidete, praktisch das ganze Gebäude durchwühlt hatte. Sie hatte wirklich alles durchsucht – die unbenutzten Schlafzimmer, das Wohnzimmer, den Kühlschrank, sogar den Herd. Am schlimmsten war es jedoch im Badezimmer. Sie hatte es |334| förmlich auseinander genommen. Ich glaube, sie musste sich erinnert haben, wie ich alles abgesucht hatte, und in ihrer Verwirrung hatte sie das wohl für ein Zeichen gehalten, dass es dort Drogen gab. Oder hatte sie dort vielleicht wirklich etwas versteckt und konnte sich nur nicht genau erinnern, wo?
    Alles war möglich   …
    Wie mir so langsam klar wurde.
    Es war schon dunkel, als ich mit Aufräumen fertig war. Ich schnappte mir eine Taschenlampe und ging hinaus, um neue Holzscheite reinzuholen, dann machte ich Feuer im Kamin und versuchte mich aufs Schlafen einzustellen. Ich hatte immer noch ein wenig Schmerzen von Candys Tiefschlag, aber ich war an einem Punkt der Müdigkeit angekommen, wo die Gefühle verschwimmen und alles nur noch matt erscheint – das Licht, dein Körper, deine Sinne, dein Schmerz   …
    Ich war zu müde, um Schmerzen zu empfinden.
    Ich legte mich aufs Sofa und rief Gina an.
    Der Versuch scheiterte – kein Empfang.
    Ich konnte mich nicht aufraffen, nach draußen zu gehen, deshalb klappte ich das Handy zu und lag nur da, versunken in der Stille.
     
    Ich weiß nichts über Heroin. Ich weiß nicht, was es ist, wie es wirkt oder was es mit deinem Gehirn und mit deinem Körper anstellt. Ich weiß nicht, warum es abhängig macht, und ich weiß nicht, warum man krank wird, wenn man es aufhört zu nehmen.
Was
ich aber weiß – was ich in jener Nacht gelernt habe   –, ist, welche Macht es über deinen Körper hat. Oder ist es vielleicht andersrum – welche Macht der Körper über das Heroin hat? Das |335| Bedürfnis   … der Wunsch   … das
Verlangen

    Etwas rein Chemisches.
    Wie ich schon sagte, ich versteh nichts davon, aber in jener Nacht wurde ich Zeuge, wie diese Chemie wirkt.
    Von sechs Uhr abends bis Mitternacht schrie Candys Seele auf jede nur vorstellbare Weise: Ihre Körpertemperatur wechselte unentwegt zwischen heiß und kalt; ihre Gliedmaßen brannten; sie schwitzte Schleim; ihre Muskeln schmerzten; ihr Magen verknotete sich; ihre Haut juckte; ihre Augen tränten; ihre Nase lief; ihr Kopf dröhnte; sie roch schlecht; sie nieste so heftig, dass ich dachte, es könnte etwas kaputtgehen dabei. Und die ganze Zeit musste sie sich dazu noch übergeben, hatte Dünnschiss, rasenden Durst und Wachträume.
    Und das alles wegen etwas rein Chemischem.
    Ihr Körper hielt sie als Geisel.
Gib mir, was ich will, oder ich mach dich krank. Ich füge dir Schmerzen zu. Ich bring dich um. Ich treib dich in

Weitere Kostenlose Bücher