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Candy

Candy

Titel: Candy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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Blätter und des vom Wind erfrischten Grases schmecken und ich wünschte mir nur, er würde den Mief der Verwirrung aus meinem Gehirn vertreiben. Aber ich wusste, das konnte er nicht. So viel frische Luft gab es nicht auf der Welt.
    Ich zog mein Handy aus der Jacke, klappte es auf und tippte die Kurzwahl für zu Hause ein. Niemand ging dran. Ich probierte es auf Ginas Handy, aber es war ausgestellt. Ich überlegte, Mike anzurufen, doch aus irgendeinem Grund hatte ich keine Lust, mit ihm zu reden, also rief ich – in Ermangelung einer besseren Idee – noch mal zu Hause an und hörte den Anrufbeantworter ab.
    Es waren zwei Nachrichten drauf – beide stumm. Der Anrufer hatte auf das Piep gewartet, sich dann ein paar Sekunden still verhalten und danach aufgelegt.
    Mir war unwohl dabei.
    Es beschäftigte mich.
    Vergiss es
, sagte ich mir.
Wahrscheinlich war es nur Dad, der kontrollieren wollte, ob du da bist.
    Nein
, dachte ich,
er würde nicht anrufen, ohne eine Nachricht zu hinterlassen.
    Okay, dann   … wie wär’s mit Jason? Es könnte Jason gewesen sein.
    Niemals. Er hat schon zweimal angerufen und ist jedes Mal aufgelaufen. Er ist doch viel zu eitel, um noch mal anzurufen, oder?
    Also dann eben ein Versehen   … die falsche Nummer, mehr nicht. Jemand hat die falsche Nummer gewählt und wusste nicht, was er sagen sollte   …
    |327|
Ja? Und wieso hat er dann zweimal angerufen?
    Darauf wusste ich keine Antwort.
    Ich starrte hinüber zum Haus und fragte mich, was Candy tat. Schlief sie? Übergab sie sich? Weinte sie? War sie noch sauer auf mich? Warum überhaupt war sie so sauer auf mich geworden?
    Spielte das eine Rolle?
    Ich wusste auch darauf keine Antwort.
    Ich schaute auf das Telefon in meiner Hand und dachte wieder an Jason. Ich wusste, ich müsste ihn eigentlich anrufen. Ich hatte zwar keine Lust, doch egal was ich von ihm hielt, er verdiente irgendeine Erklärung, genauso der Rest der Band. Die Aufnahmesession stand bald an, heute war Probe und ich war abgehauen und hatte nicht mal
ein
Wort der Erklärung für sie gehabt.
    Das war doch nicht richtig, oder?
    Es war nicht fair   …
    Aber es gehörte auch nicht hierher. Es war irgendwo anders, und was irgendwo anders war, spielte keine Rolle mehr. Irgendwo anders war nirgends.
    Ich klappte das Handy zu, stand auf und ging zurück zum Cottage.
     
    Als ich die Tür öffnete, kam Candy gerade aus dem Bad. Sie hatte die Haare gekämmt und Jeans und Pullover übergezogen. Einen flüchtigen Moment hob sich mein Mut und ich dachte, alles würde wieder gut. Sie fühlte sich besser   … sie war über das Schlimmste hinweg   … sie war auf dem Weg zurück in die Normalität   …
    Aber dann sah ich den Blick in ihrem Gesicht und wusste, ich hatte Unrecht. Das war kein Gesicht der Normalität, es war ein |328| Gesicht der Verzweiflung.
    »Was tust du?«, fragte ich sie.
    »Frag nicht«, sagte sie und ging direkt an mir vorbei.
    Ich schloss die Haustür und folgte ihr ins Schlafzimmer. Es war das totale Chaos. Alle Schrankschubladen ausgeleert und der Inhalt ringsum verteilt. Das Bett war verschoben worden, die Matratze umgedreht   … sogar meine Tasche hatte sie durchsucht. Jetzt rannte sie durchs Zimmer, schnappte sich Klamotten vom Fußboden und schaufelte sie in ihre Tasche.
    »Was tust du?«, wiederholte ich.
    »Ich hab doch gesagt – frag nicht.«
    »Hab ich aber gerade.«
    »Tja, lass es.«
    Ich sah ihr zu, wie sie weiter einpackte. Sie sah schrecklich aus – alles an ihr wirkte schmerzverzerrt. Ihr Gesicht, ihre Lippen, ihre Wangen, ihre Augen   … ihr Hals, ihre Beine, die Form ihres Körpers   … ihre blasse helle Haut   …
    Gott   … ihre Haut.
    Ich erinnerte mich an den ersten Tag, an dem ich sie sah, die Art, wie sie dastand und mich ansah, die Art, wie sie den Hals reckte und lächelte, die Art, wie ihre sich leicht wölbende Haut mich versteinerte   …
    Sie versteinerte mich nicht mehr, sie erschreckte mich nur. Sie war zu weiß, zu verschwitzt, zu kalt   … wie milchiges Plastik, das draußen im Regen liegen geblieben war.
    »Das kannst du nicht tun«, sagte ich ihr.
    »Was tun?«, fragte sie und zog den Reißverschluss ihrer Tasche zu.
    »Du kannst doch nicht einfach aufgeben.«
    |329| »Nein?«
    »Nein.«
    »Wieso nicht?«
    »Weil   …«
    »Weil
was
?«, höhnte sie, drehte sich um und sah mich an. »Komm schon, Joe   … ich will wissen, wieso? Wieso kann ich nicht aufgeben? Weil es mir dann besser gehen wird? Weil ich

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