Candy
den Wahnsinn. GIB MIR, WAS ICH WILL!
Aber sie tat es nicht.
Oder konnte es nicht.
Es spielte keine Rolle. Sie hielt durch – ihr Körper schrie, Stunde um Stunde, und gönnte ihr nicht einen Moment Ruhe, bis sie schließlich so erschöpft war, dass selbst die Schreie sie nicht mehr wach halten konnten und sie in einen Schlaf voller Albträume sank.
Auch ich schlief. Auf dem Fußboden. Und träumte von Kängurus.
Montagmorgen, sieben Uhr: Als ich aufwachte, saß Candy auf der Bettkante und rauchte eine Zigarette. Die Vorhänge waren aufgezogen |336| und ihr hager wirkendes Gesicht wurde vom Morgenlicht eingerahmt. Es war ein Porträt in Grau: ihre blasse Hautfarbe, der bewölkte Himmel, der Zigarettenqualm, das schweißfleckige Bett … alles verwaschen und trüb.
Ich setzte mich auf und reckte die Steifheit aus meinem Nacken.
»Hey«, sagte Candy und drehte sich zu mir um.
»Selber hey. Wie geht’s?«
»Ich weiß nicht«, sagte sie schulterzuckend. »Ziemlich unverändert, glaub ich … vielleicht auch ein klein bisschen besser.«
»Hast du noch Schmerzen?«
Sie nickte. »Überall.«
»Was glaubst du, wann es aufhört?«
»Ich weiß nicht – das Schlimmste ist meistens nach ein paar Tagen vorbei, also irgendwann heute … hoffentlich. Ich glaub nicht, dass ich noch so eine Nacht durchhalte.« Sie drückte ihre Zigarette aus und kratzte sich den Kopf. »Gott, ich fühl mich so
schmutzig
… alles ist verklebt und schorfig … das Bett stinkt …«
»Warum gehst du dich nicht waschen?«, schlug ich vor. »Ich wechsle für dich das Bettzeug – hol neue Laken und so.« Ich stand auf und ging zu ihr rüber. »Komm, ich helf dir.«
Ich führte sie ins Bad, dann ging ich zurück und wechselte das Bettzeug. Es war nicht angenehm. Frische Laken, frische Kissen, eine frische Bettdecke. Ich räumte ein bisschen auf – Taschentücher, Schokoladenpapier, Zeitschriften – und öffnete das Fenster, um im Zimmer zu lüften. Ich war gerade auf dem Weg hinaus, um frisches Wasser zu holen, als Candy aus dem Bad zurückkam.
Sie war so weiß wie ein Gespenst.
»Verdammt«, sagte ich und eilte zu ihr. »Was ist mit dir?«
»Was?«
|337| »Dein Gesicht … deine Haut …«
»Oh«, sagte sie und berührte ihre Wange. »Entschuldigung – ist nur Puder. Ich kann kein Wasser auf der Haut ertragen … es sticht.« Sie zitterte. »Es ist schrecklich. Mit dem Puder geht’s mir ein bisschen besser.«
Ich half ihr zurück ins Bett, dann versuchte ich, mit dem Rest des Tags irgendwie klarzukommen.
Halb elf: Es waren drei weitere Nachrichten auf dem Anrufbeantworter zu Hause – wieder zwei ohne Stimme und eine von Dad. Seine Nachricht lautete so:
Gina, Joe – ich bin’s
(er nennt sich selbst nie
Dad
, wenn er mit uns spricht, es heißt immer nur
ich
oder gelegentlich
euer Vater
) …
Ich rufe nur an, damit ihr wisst, dass alles in Ordnung ist. Hört mal, vergesst nicht, am Mittwoch die Mülleimer rauszustellen, und wenn der Fensterputzer kommt, bezahlt ihn nicht, ehe er den Wintergarten gemacht hat. Den hat er schon letztes Mal vergessen. Und Joe – wo steckst du? Du solltest doch zu Hause sein – erinnerst du dich? Schau, ich kontrolliere dich nicht und sicher gibt es einen absolut triftigen Grund, warum du gerade jetzt nicht da bist, aber ich möchte später in dieser Woche noch einmal mit dir darüber sprechen, einverstanden? Okay, also, ich muss jetzt los … Bis bald dann, ihr beiden – tschüss.
Es war seltsam, seine Stimme zu hören – sie klang so normal. Er redete über Mülleimer, Fensterputzer und Wintergartenfenster … das alles wirkte so fremd. Es war eine Stimme, die irgendwo anders hingehörte.
Ich versuchte Ginas Handy zu erreichen, aber es war immer noch ausgeschaltet. Ich wusste, sie musste es ausstellen, wenn sie im Krankenhaus war, deshalb war ich nicht sonderlich besorgt, |338| aber ich hatte schon eine Weile nicht mehr mit ihr gesprochen und es wäre schön gewesen, ein paar Gedanken auszutauschen.
Mehr als ein paar, um es genau zu sagen.
Mach dir nichts draus,
dachte ich,
heute Abend ist sie daheim. Dann kannst du sie anrufen.
Ich scrollte durch mein Telefonverzeichnis und wählte Mikes Nummer, doch es war nur die Mailbox dran, die um eine Nachricht bat. Ich hinterließ aber keine – mir fiel nichts ein, was ich hätte sagen können.
Und das war’s.
Niemand übrig, den ich hätte anrufen können.
Ich saß auf der Veranda und
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