Candy
Tastatur vor sich hin |68| und starrte mit gerunzelter Stirn die Wände an. Manchmal war Gina da und wir aßen zusammen Abendbrot, aber häufig ging Dad abends aus, Gina hatte entweder Spätdienst oder war mit Mike unterwegs und ich probte mit den
Katies
. Deshalb lief alles in allem nicht viel in Sachen Familie.
Ich sah Gina am Sonntag und wir unterhielten uns kurz miteinander. Sie fragte mich, wie ich zurechtkäme, und ich sagte ihr, es ginge mir gut.
»Schule okay?«
»Ja.«
»Mal wieder ein paar Prostituierte getroffen in letzter Zeit?«
»Nein.«
»Wie läuft’s mit der Band?«
»Nicht schlecht. In ein paar Wochen haben wir einen Auftritt in London.«
»Ja?«
»Als Vorgruppe von
Bluntslide
.«
»Von wem?«
»
Bluntslide.
Kommen aus Manchester. Sie haben gerade einen fetten Vertrag mit Polydor unterschrieben. Werden wahrscheinlich lauter wichtige Leute da sein – Musikpresse, Agenten, Typen von der Plattenfirma …«
Gina nickte beeindruckt. »Vielleicht komm ich vorbei.«
»Ja, das wär super. Du könntest doch Mike mitbringen.«
»Okay, gebongt.«
Ich sah sie an. »Hast du’s Dad schon gesagt?«
»Dass Mike und ich heiraten werden?«
»Ja.«
»Ich wollte es ihm heute sagen. Dachte, er würde zu Hause bleiben.«
|69| »Er ist mit Mum nach London gefahren. Sie wollen sich eine Aufführung ansehen oder so ähnlich.«
»Ich weiß.«
Eine Weile sagte keiner von uns etwas. Ich wusste nicht, ob Gina drüber reden wollte, und ich wusste auch nicht, ob ich drüber reden wollte. Es war kompliziert – unbequem, vertrackt, schwierig.
»Glaubst du, sie meinen es ernst?«, fragte ich schließlich.
Gina sagte nichts, sondern schüttelte nur den Kopf.
Ich schaute sie an. »Dad scheint seinen Spaß zu haben.«
»Weißt du, was sie mal gesagt hat?«, fragte Gina plötzlich.
»Wer – Mum?«
»Ja, während die Scheidung lief. Einen Abend hab ich sie in Dads Arbeitszimmer reden hören. Sie sagte: ›Es liegt nicht an uns, Charles, das war nie der Grund. Es ist nur dieses ganze Verheiratetsein. Zusammenleben, Kinder großziehen, ein Zuhause aufbauen … das ist nichts für mich. War es noch nie. Ich bin zu egoistisch für so was. Ich will nur dich, das ist alles. Ich will dich mit niemandem teilen.‹«
Ich starrte Gina an und sah die Verbitterung in ihren Augen. »Das hat sie gesagt?«
»Ja, als ob sie sich von uns scheiden lassen wollte. Nicht von Dad, von
uns
.«
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Es schien merkwürdig, was Mum da wollte, besonders nach all der Zeit, aber irgendwie machte es Sinn. Es würde erklären, warum sie uns nie besuchte, warum sie Dad wieder traf und warum sie überhaupt gegangen war …
|70| Aber Erklärungen ändern nichts, oder? Du fühlst dich dadurch nicht besser. Entweder passt dir etwas oder es passt dir nicht, und wenn es dir nicht passt, macht das Wissen, warum es geschieht, auch keinen Unterschied. Es geschieht trotzdem und es passt dir trotzdem nicht – also was soll’s?
Mittwochabend war
Katies
-Treffen. Wir übten jede Woche in einem zugigen alten Lagerhaus, das einer Künstlergruppe gehörte. Sie nutzten es vor allem für Theaterproben, Ausstellungen und so was, aber um die Kosten reinzukriegen, vermieteten sie es auch, wenn sie es selbst nicht brauchten. Vor allem im Winter war das oft der Fall. Deshalb buchten wir es jeden Mittwochabend – und manchmal auch an den Wochenenden – für drei, vier Stunden, bauten unsere Ausrüstung auf und machten jede Menge Lärm.
So jedenfalls sah ich das Ganze – ein bisschen Spaß, ein bisschen Rumprobieren und jede Menge dröhnender Lärm.
Die andern nahmen es ernster. Sie waren schon eine ganze Weile zusammen, als ich zur Band stieß, dazu alle mindestens ein Jahr älter als ich und viel ehrgeiziger. Bevor ich dazukam, spielten sie Heavy Metal, alles total gothic, düster und schaurig, aber dann fingen sie an, im Skateboardpark rumzuhängen, wo auch ich mich mit meinen Freunden herumtrieb, und hörten das Zeug, das wir so hörten – was immer noch ziemlich heavy war, aber eben nicht super heavy und auch nicht so protzig. Und dann … ich weiß gar nicht mehr genau, wie es passierte. Ich glaube, ich kam einfach irgendwann mal mit ihnen ins Gespräch. Ich kannte sie nicht wirklich, aber ich wusste von der Schule her, wer sie waren, und ich wusste auch, sie spielten in einer Gruppe, und als ich sie von der Bassline in einem Stück von
New Found Glory
schwärmen hörte, |71| die irgendwer
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