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Candy

Candy

Titel: Candy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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doch keine Angst vor Iggy, weil er groß und schwarz war, ich hatte Angst, weil er unheimlich war. Weil er Iggy war. Die Hautfarbe hatte damit überhaupt nichts zu tun.
    »Was ist?«, fragte mich Mike.
    »Hä?«
    »Du guckst mich an, als hätte ich zwei Köpfe oder so ähnlich.«
    »Entschuldigung«, sagte ich. »Ich war gerade eben ganz woanders.«
    »Hast du an Candy gedacht?«, fragte Gina.
    »Nein   –«
    »Wer ist Candy?«, fragte Mike, stützte seine Arme auf den Tisch und schaute interessiert.
    »Niemand   –«
    »Komm schon, Joe«, unterbrach mich Gina. »Wir hatten einen Deal. Ich hab dir unser Geheimnis erzählt, jetzt bist du dran.«
    »Genau«, echote Mike, »komm schon, Joe – her damit, spuck’s aus, gib’s zu.«
    »Ich dachte, du wolltest nach Hause«, sagte ich zu ihm.
    »Das hat keine Eile«, antwortete er lächelnd.
    Ich wollte ihnen nicht von Candy erzählen. Ich hatte Angst, mich zum Idioten zu machen. Aber ich wollte es auch nicht für mich behalten. Ich wollte es rauslassen, dem Ganzen ein wenig Raum geben, sehen, wie es außerhalb meines Kopfes klang   … zumindest ein bisschen.
    |59| Und ich hatte schließlich einen Deal gemacht.
    Also trank ich einen Schluck Tee, lehnte mich auf dem Stuhl zurück und erzählte ihnen, was passiert war. Natürlich sagte ich ihnen nicht alles. Ich erzählte ihnen nichts über die Berührung ihrer Fingerspitzen oder den berauschenden Duft ihrer Haut, und um nichts in der Welt hätte ich irgendwas von dem Licht im Dunkeln gesagt, von der weinenden Stimme oder dem, was ich tief in meinem Innern fühlte   … was immer das war.
    Selbst wenn ich gewollt hätte, ich hätte mit ihnen darüber nicht reden können.
    Aber alles andere erzählte ich.
     
    Als ich fertig war, sagte eine Weile niemand ein Wort. Gina saß nur da und sah mich mit leicht benommenem Gesichtsausdruck an, während Mike seinen Kopf gesenkt hielt und nachdenklich den Tisch anstarrte. Ich trank den im Becher kalt gewordenen Tee aus und blickte mich in der Küche um. Weiße Wände, Steinfliesen, Töpfe an der Wand – alles war eingehüllt in die wortlose Stille der frühen Morgenstunden.
    »Tja   …«, sagte Gina und räusperte sich.
    Ich sah sie an, hatte plötzlich Angst und fragte mich, was sie wohl von mir dachte. Hielt sie mich für bescheuert? Naiv? Idiotisch? War sie peinlich berührt von meiner Dämlichkeit?
Vielleicht hätte ich besser gar nichts sagen sollen
, überlegte ich.
Vielleicht hätte ich doch lieber alles für mich behalten sollen.
    Gina fuhr sich mit ihren Händen durchs Haar, warf einen Blick auf Mike, dann schaute sie wieder mich an und lächelte unbeholfen.
    »Ich weiß nicht, was ich sagen soll«, meinte sie. »Du musst |60| ganz   …«
    »Was?«, sagte ich nervös. »Ich muss ganz was?«
    »Ich weiß nicht   … entsetzt, verwirrt gewesen sein   … ich meine, wenn ich an deiner Stelle gewesen wär   –«
    »Du wärst bestimmt nicht so dämlich gewesen.«
    »Nein,
das
meine ich nicht. Gott, Joe – es war ja nicht
deine
Schuld. Wie hättest du es denn wissen sollen?«
    Ich zuckte die Schultern.
    Gina beugte sich zu mir. »Sie hat doch nichts von dir gewollt, oder?«
    »Was meinst du damit? Was soll sie gewollt haben?«
    »Geld.«
    »Nein   … sie hat bloß angefangen zu reden.«
    »Na, dann   …«
    »Was dann?«
    »Dann konntest du auch nicht wissen, was sie war, oder? Es war ihr ja nicht auf die Stirn tätowiert:
Ich bin eine Nutte
…«
    Ich musste grinsen.
    Gina grinste zurück. »War’s doch nicht, oder?«
    »Hab’s jedenfalls nicht bemerkt.«
    Gina entspannte sich. Sie streckte den Arm aus und drückte meine Hand, dann warf sie einen Blick über den Tisch. »Was denkst du, Mike?«
    Mike hob den Kopf und sah mich an. »Bist du jetzt wieder okay?«, fragte er.
    »Ja, glaub schon.«
    Er nickte. »Hast du seinen Namen verstanden, den von dem schwarzen Typ?«
    »Iggy. Sie hat ihn Iggy genannt.«
    |61| »Iggy?«
    »Ja.«
    Mike schüttelte den Kopf. »Wahrscheinlich nennen sie ihn nur auf der Straße so. Könnte jeder sein. Leute von der Sorte laufen da überall rum – kleine Zuhälter und Dealer, die ein paar Mädchen laufen haben und das Ganze von irgendeiner Wohnung aus organisieren   … King’s Cross war früher voll von solchen Typen. Vor ein paar Jahren wurde die ganze Gegend dann saniert, aber es ist immer noch eine Menge los dort.« Er sah mich an. »Wie alt war das Mädchen?«
    »Ich weiß nicht   … siebzehn, vielleicht achtzehn.

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