Candy
wir weiter dran arbeiteten – hier was hinzufügten, da was änderten –, verschwand die Befriedigung allmählich und ein anderes Gefühl machte sich breit. Zuerst wusste ich nicht genau, worum es eigentlich ging. Es war ein hohles Gefühl … eine Stimmung, die aufkommt, wenn man etwas verloren hat oder es einem gestohlen wurde … das dumpfe Empfinden von Verlust.
Ja, das war es.
Ich fühlte mich, als hätte ich etwas verloren.
Ich hatte meinen Song verloren.
Es war nicht mehr meiner.
|74| Seine Gefühle waren nicht mehr meine.
Trotzdem war es immer noch ein ziemlich guter Song. So ein Song, der einem tagelang ununterbrochen im Kopf rumgeht, mit einem Refrain, den man ständig vor sich hin summt, und das war immerhin ein gewisser Ausgleich. Aber gerade weil es ein guter Song war, weil ich nicht aufhören konnte, ihn ständig vor mich hin zu summen, und weil ich nicht clever genug gewesen war, den Titel zu ändern, weshalb er immer noch
Candy
hieß – darum hallte der Name in den nächsten Tagen praktisch pausenlos durch meinen Kopf.
Und das war nicht die beste Voraussetzung, um mit meinem Leben klarzukommen, ohne wegen Candy allzu sehr durcheinander zu geraten. Nicht dass ich tatsächlich je gedacht hätte, ich könnte es schaffen. Aber einen Versuch war es wert.
Am Freitag rief ich sie schließlich an. Ich hatte die ganze Woche drüber nachgedacht – versucht, mich zu entscheiden, wann ich es tun sollte, wo ich es tun sollte, was ich sagen sollte, wie ich klingen sollte –, doch je mehr ich drüber nachdachte, desto entmutigender wurde es.
Was ist, wenn ich irgendwas Dämliches sage? Was, wenn sie sich gar nicht an mich erinnert? Was, wenn sie nicht mit mir reden will? Was, wenn … Was, wenn … Was, wenn …?
Am Ende war mir klar: Wenn ich es nicht einfach so tat, würde ich es überhaupt nicht tun.
Also stellte ich mir am Freitagmorgen eine Falle, um mich selbst auszutricksen. Die Falle war kaum der Rede wert und ich bezweifelte, dass es auf die Art klappen würde, aber wenn es nicht funktionierte, war ich auch nicht schlechter dran als vorher – was konnte ich also verlieren?
|75| Der Plan lautete, mein Handy zu Hause zu lassen, wenn ich morgens zur Schule ging – es einfach in meinem Zimmer liegen zu lassen und überhaupt nicht mehr dran zu denken. An kein Telefon, an keine Candy und auch nicht daran, sie anzurufen. Wirklich an gar nichts. Dann später, nach der Schule, irgendwann am Abend, wenn ich an nichts dachte, sondern einfach so rumhing und sonst nichts zu tun hatte, würde ich plötzlich das Handy wiederfinden und gleich die Nummer anrufen, ehe mein Gehirn die Chance hätte, mich dran zu hindern.
Wie gesagt bezweifelte ich, dass es klappen würde. Ich meine, wenn du versuchst, an etwas
nicht
zu denken, kann es schließlich leicht passieren, dass es auf einmal nichts anderes gibt, woran du überhaupt noch denken
kannst
. Und wenn du versuchst, dein Handy zu vergessen, geht es dir vielleicht die ganze Zeit nicht mehr aus dem Sinn. Du kannst nicht aufhören, es den ganzen Tag in Gedanken zu sehen … wie es daliegt, genau dort, wo du es zurückgelassen hast. Und du weißt genau, dass du später, nach der Schule, irgendwann am Abend, ganz bestimmt nicht rumhängen und nichts zu tun haben wirst. Du wirst auch nicht an nichts denken und schon gar nicht wirst du plötzlich das Handy wiederfinden und die Nummer anrufen, ehe dein Gehirn die Chance hat, dich dran zu hindern.
Also bist du doch schlechter dran als vorher.
Also hast du doch was zu verlieren.
Es sei denn, du trickst dich doppelt aus, indem du auf dem Nachhauseweg plötzlich in eine Telefonzelle springst und die Nummer in die Tasten hämmerst, ehe du überhaupt begreifst, was du tust.
|76| Das Telefon rauschte für ein, zwei Sekunden hohl und ich fragte mich, ob ich die falsche Nummer gewählt hatte, aber dann wurde die Verbindung mit einem elektrischen Knacken hergestellt und es klingelte. Der vertraute Ton summte durch meinen Kopf –
didi … di-di … di-di …
–, das Geräusch des Wartens, Hoffens, Nichtwissens – und ich spürte, wie mein Herz in der Brust heftig pochte, die Kehle eng wurde, meine Finger zitterten … dann klickte die Leitung, das Klingeln hörte auf und Candys Stimme war dran.
»Ja?«
Sie klang schrill und gehetzt, hart und abrupt, ihre Stimme ein wenig verschwommen. Nicht ganz das, was ich erwartet hatte. Aber wenigstens war es nicht Iggy.
»Hallo?«,
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