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Candy

Candy

Titel: Candy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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Kurs   … erkannte die Kreuzung, die Verkehrsinsel, McDonald’s   … erinnerte mich an Candy   … ihr Gesicht, ihre Augen, ihre Lippen, ihre Beine, ihre Haut   … um die Hüften herum leicht gewölbt wie das sanfte Wallen eines blassen, hellen Meers   …
    Verdammt, Joe   …
    Denk nicht mal dran.
    Ich stand jetzt gegenüber der Pentonville Road. Ich wusste, wo ich war, aber ich wusste nicht, wohin. Straßen zweigten in alle Richtungen ab – große Straßen, kleine Straßen, ruhige Straßen, belebte Straßen – und boten mir sämtliche Möglichkeiten, die ich mir vorstellen konnte, nach Norden, Süden, Osten, Westen   … aber es machte keinen Unterschied. Ich wusste noch immer nicht, wohin ich gehen sollte. Das Einzige, was ich wusste, war, dass Candy »ungefähr zehn Minuten von King’s Cross entfernt, in einer netten kleinen Wohnung im dritten Stock eines renovierten Hauses aus viktorianischer Zeit« wohnte, was auch nicht viel weiterhalf. Ohne die Richtung zu wissen, konnte mich ein Zehn-Minuten-Weg überall hinführen. Und wer weiß, ob es überhaupt zehn Minuten waren. Vielleicht waren es fünf oder fünfzehn   … |189| oder es konnte auch sein, dass sie das Ganze nur so gesagt hatte. Es war durchaus möglich, dass sie gar nicht in unmittelbarer Nähe von King’s Cross, sondern Kilometer entfernt wohnte, und dass ich hier nichts weiter tat, als ziellos durch unbedeutende Straßen zu laufen und meine Zeit zu vergeuden   …
    Ja
, sagte ich mir,
aber du läufst nicht ziellos, oder? Denn du läufst ja überhaupt nicht. Du stehst nur ziellos rum, was wirklich die völlige Zeitverschwendung ist. Und davon abgesehen – was hast du sonst noch in petto? Aufgeben? Nach Hause fahren? Alles vergessen? Nein, das hier ist die beste Chance, die du hast. Die einzige Chance. Also mach was draus. Hör auf nachzudenken und lauf los.
     
    Den Rest des Nachmittags verbrachte ich damit, in immer weiteren Kreisen um King’s Cross herumzulaufen. Es war nicht besonders lustig und es war nicht das Einfachste, was ich je getan hatte, doch ich hatte keine bessere Idee. Ich hatte vergessen, den Stadtplan mitzunehmen, aber selbst wenn ich ihn mitgenommen hätte, wär es immer noch schwer gewesen, perfekte Kreise durch die Straßen zu ziehen. Ständig verlief ich mich oder ging in die falsche Richtung und kam wieder da raus, wo ich losgegangen war   …
    Doch das machte nicht wirklich was aus. Solange ich lief, möglichst viel Gelände abdeckte und alles so gründlich, wie ich nur konnte, absuchte   …
    Das war die Hauptsache.
    Es war allerdings auch ziemlich deprimierend.
    Das Wetter war trüb. Bleierner Himmel, grau und tief hängend, ein schwerfälliger Mischmasch aus gar nichts. Es war nicht warm, es war nicht kalt, es war nicht windig, es war nicht still, es war nicht nass, es war nicht trocken   … es war überhaupt nichts. Einfach nur |190| trüb. Und die Straßen selbst waren auch leblos. Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte – vielleicht eine Orgie von Sexshops, Bordellen und übel wirkenden Pubs   –, aber die meisten Straßen waren gar nicht so schlimm. Es gab schon ein paar Sexshops – gedrungene kleine Gebäude mit weiß übermalten Fenstern – und eine ganze Menge übel wirkende Pubs, dazu ein paar zwielichtige Saunen und einige sehr sonderbar wirkende Clubs   … aber nicht Hunderte davon. Es gab keine Horden von spärlich bekleideten Frauen, die an den Straßenecken rumstanden, keine auffällig angezogenen Zuhälter, die in ihren Cadillacs auf und ab fuhren   … Es gab einfach nur jede Menge öde Straßen und öde Leute   … und bloß einen gelegentlichen Blick in die Unterwelt.
    Ein zugedröhnter Typ mit schlecht rasiertem Schädel, der mich misstrauisch beäugte.
    Ein paar sehr junge Mädchen, die mit einem mittelalten Araber in einem Auto saßen.
    Spritzen in der Gosse.
    Schläger mit versteinerten Gesichtern, die in verdreckten schmalen Eingängen standen und mich abcheckten, als ich vorbeiging.
    Ich fühlte mich nicht richtig bedroht   … aber wirklich wohl fühlte ich mich auch nicht. Ich fühlte mich klein und dumm und fehl am Platz. Ich wusste, ich gehörte hier nicht hin, und ich wusste, dass alle andern das auch wussten. Es gab mir das Gefühl, bloß nicht stehen bleiben zu dürfen, denn wenn ich stehen blieb, würde etwas Schlimmes passieren.
    Also ging ich weiter.
    Ich war versucht, den Kopf gesenkt zu halten und die Augen fest auf den Boden zu heften, aber ich wusste,

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