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Candy

Candy

Titel: Candy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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ich entdeckte Iggy beinahe sofort. Durch seine Größe und seinen langen schwarzen Mantel war er nicht schwer zu finden. Er ging ungefähr fünfzig Meter von mir entfernt auf der rechten Seite der Straße den Bürgersteig entlang, schwang seinen Arm und gestikulierte mit seiner Hand, als würde er Selbstgespräche führen.
    Mein Puls raste.
    Ich dachte nicht nach.
    Ich war auf Automatik geschaltet:
Folg ihm, pass auf, dass er dich
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nicht sieht, folg ihm, pass auf, dass er dich nicht sieht, folg ihm   …
    Ich folgte ihm.
     
    Ich weiß nicht sicher, wie ich es machte. Ich war noch nie jemandem gefolgt. Ich hatte keine Ahnung, wie man Leute verfolgt – wie dicht bleibt man dran? Was ist, wenn sie sich umdrehen?   –, aber irgendwie schaffte ich es, ihm auf der Fährte zu bleiben, ohne entdeckt zu werden. Es half mir wahrscheinlich, dass er völlig ahnungslos war. Ich meine, ich musste nichts Raffiniertes machen. Ich musste mein Gesicht nicht mit einer Zeitung bedecken oder so tun, als würde ich mir die Schnürsenkel zubinden oder irgendwas in der Art. Ich brauchte ihm nur zu folgen: ein paar Hundert Meter an der Rückseite des Bahnhofs entlang, danach rechts in eine schmale Straße, die von Lagerhäusern und Bürobauten gesäumt war, dann links, dann wieder rechts, über einen Kanal, in ein Wirrwarr verborgener Seitengassen   …
    Dann wurde alles ein bisschen kitzliger. Ich musste nahe genug dranbleiben, um ihn nicht aus den Augen zu verlieren, aber ich durfte nicht zu dicht ran, denn die Straßen waren hier weitgehend leer. Wenn er plötzlich stehen blieb und sich umdrehte, musste er mich zwangsläufig sehen. Ob er mich erkennen würde oder nicht, war eine andere Frage. Wahrscheinlich nicht, dachte ich mir. Aber bei jemandem wie Iggy war
wahrscheinlich nicht
alles andere als beruhigend. Also ließ ich mich etwas zurückfallen und beobachtete ihn aus der Deckung von Bäumen am Straßenrand, geparkten Autos, Briefkästen – was ich eben so fand.
    Die meisten Häuser hier in der Gegend waren drei- bis vierstöckige Reihenhäuser mit gardinenverhangenen Erkerfenstern, abblätternder Fassade und ganzen Leisten von handgeschriebenen |195| Namensschildern neben einer Gemeinschaftsklingel beim Eingang. Wohnungen und möblierte Zimmer, vermutete ich.
    Viktorianische Häuser?
    Vielleicht   …
    Sie wirkten vage vertraut und ich fragte mich, ob ich hier schon mal vorbeigekommen war, als ich noch in Kreisen umherlief. Vielleicht   … es war schwer zu sagen. Inzwischen brannten die Straßenlaternen. Der Abend senkte sich schnell herab. Im Dunkeln wirkt alles anders: flacher, kälter, unheimlicher.
    Iggy war stehen geblieben.
    Auf halbem Weg eine dicht an dicht bebaute Straße entlang, im Neonschein einer Laterne Schatten werfend, während sein langer schwarzer Mantel das grelle orangefarbene Licht reflektierte. Er tat nichts. Stand nur da, vor einem hohen weißen Haus, und schaute hinauf zu den sanft erleuchteten Fenstern.
    Ich stand ungefähr dreißig Meter weit weg in einer von Bäumen gesäumten Straße, die im rechten Winkel von der dicht bebauten abzweigte. Zu meiner Linken gab es einen schmalen Streifen Park, der mir einen idealen Blick auf Iggy und das hohe weiße Haus gewährte. Ich betrachtete das Haus. Es sah genauso aus wie alle andern Häuser in der Straße: ein dreistöckiges Reihenhaus, das direkt an der Straße stand, mit Steinstufen, die hinauf zu einem unbeleuchteten Eingang führten. Iggy ging jetzt die Stufen hoch   … zog einen Schlüssel heraus   … öffnete die Tür   … warf einen Blick über die Schulter   …
    Er betrat das Haus.
     
    Was jetzt?
, fragte ich mich.
Was tust du? Hier stehen bleiben? Weitergehen? Näher herantreten?
Wie sollte ich das wissen? So was wie |196| das hier hatte ich noch nie gemacht. Es war dunkel. Mir war kalt   … ich zitterte   … schwitzte   … hatte Hunger   … war leer   …
    Gedankenlos.
    Genau da rollte ein Wagen die Straße entlang. Seine Scheinwerfer glitten über die Platanen und beleuchteten ihre ausgeblichenen Stämme, den Parkzaun, mich. Ich erstarrte. Ich sah, wie mein Schatten sich auf dem Bordstein abzeichnete – eine gekrümmte Figur mit in die Länge gezogenem Kopf, die hinter den Bäumen hervorkroch   …
    Nicht gut
, dachte ich.
    Der Wagen wurde etwas langsamer   … der Motor im Leerlauf   … dann fuhr er wieder davon, nahm meinen Schatten mit.
Hier kannst du nicht bleiben
, sagte ich mir mit einem Seufzer der

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