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Candy

Candy

Titel: Candy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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alles begann.
    Ich wusste wie gesagt nicht, was ich tat – aber ich wusste, dass ich es tat.
     
    Draußen vor dem Bahnhof waren die Bürgersteige voll und die Straßen geschäftig wie immer. Das Chaos dröhnte von überall rings um mich her – Autos, Busse, Taxis, losdonnernde Motorräder, aufblitzende Lichter, Straßenarbeiten, Kräne, Baustellen, Fußgängerüberwege, Poller, Kreuzungen, Pendler, Obdachlose, Verrückte, Hippies mit ausdruckslosem Blick, langen, schmuddeligen Haaren und Schorf im Gesicht – und ich stand einfach da, eingetaucht in das Dröhnen, und ließ alles über mich hinwegspülen.
    Ich stand draußen vor
Boots
, ganz dicht an der Stelle, wo ich Candy zum ersten Mal getroffen hatte. Ich wusste, es war irrational. Sie würde nicht dort sein   … diesmal nicht. Egal wie lange ich dastand und hoffte, den Klang ihrer Stimme zu hören, hell und |186| klar, wie mit der diamantscharfen Spitze eines Messers durch das Chaos schneidend   … egal wie oft ich hinüber zum Eingang schaute in der Hoffnung, sie dort stehen zu sehen, gegen die Wand gelehnt, mich anlächelnd   … in der Hoffnung, diese Lippen zu sehen, diese Zähne, diese dunklen Mandelaugen   …
    Sie würde nicht da sein.
    Ich wusste das. Aber irgendwo musste ich ja anfangen, oder? Und was für einen besseren Ort konnte es dafür geben als den, wo alles begonnen hatte?
    Also wartete ich.
    Und ich wartete.
    Und ich wartete   …
    Und nach ungefähr einer Stunde fing ich an, Dinge zu sehen, die ich vorher gar nicht bemerkt hatte. Versteckte Dinge, Dinge inmitten des Chaos   … Dinge, die Zeit brauchten, um wahrgenommen zu werden. Der Typ in der dreckigen grünen Jacke zum Beispiel – der in den Bahnhof ging, wieder rauskam, sich umschaute, wieder reinging   … oder der Bettler mit seiner matschgrauen Decke – ausgekühlt und schläfrig, aber trotzdem niemals die Augen schließend, immer die Straßen im Blick, auf der Hut vor Zoff   … und die gut gekleideten Frauen – auf Freunde wartend, doch nie zu lang und nie allzu erfreut, sie zu sehen   …
    Es war eine eigene Welt in der Welt. Eine Unterwelt. Eine andere Welt. Und allein durch mein Dortsein wurde ich langsam ein Teil von ihr.
    Um halb zwölf kam ein abgemagerter Jugendlicher in einem fleckigen schwarzen Mantel auf mich zugeschlurft. Es war schwer zu sagen, wie alt er war, viel älter als fünfzehn bestimmt nicht. Sein Gesicht war ausgemergelt, seine Augen eingesunken und glasig.
    |187| »Wo is’n dein Macker?«, sagte er und sah über die Schulter zurück. Er war weiß, redete aber wie ein Schwarzer.
    »Was ist?«, fragte ich.
    Sein Kopf schoss herum und er beugte sich zu mir, senkte den Kopf und starrte hoch in meine Augen. »Was’s los? Suchste’n Kunden?«
    »Nein   …«
    »Was dann?«
    »Nichts – ich wart nur auf jemand.«
    Er leckte sich die Lippen und lachte. »Wart woanders – okay?« Er blickte wieder über die Schulter, dann drehte er sich zurück zu mir, die Augen plötzlich eiskalt. »Immer noch da?«
    Ich rührte mich nicht. »Kennst du ein Mädchen, das Candy heißt?«, fragte ich.
    Er antwortete nicht, sondern starrte mich nur weiter an.
    »Wie steht’s mit Iggy?«, sagte ich. »Kennst du jemanden, der Iggy heißt? So ein großer schwarzer Typ.«
    »Was’s los mit dir?«, fragte der Junge, plötzlich nervös. »Das’s nix für dich. Guck dich doch an, schön sauber und hübsch   … Scheiße. Willste was hiervon?« Er stieß mir sein Gesicht entgegen und zeigte seine verrottenden Zähne, seine verschorfte Haut und seine schmutzig gelben Augen in Nahaufnahme. Ich musste fast würgen von dem krankhaft süßlichen Geruch seines Atems.
    »Schön, was?«, sagte er kalt und trat zurück.
    Ich sah ihn an und versuchte meinen Widerwillen zu unterdrücken, doch vermutlich ohne Erfolg. Nicht dass das eine Rolle spielte. Anscheinend wollte er mich warnen, mich dazu bringen, dass ich verschwand – ich
sollte
mich also abgestoßen fühlen, deshalb |188| kümmerte es mich nicht wirklich, wie ich reagierte. Er machte sich sowieso nichts draus. Sein Gesicht war jetzt hart und leer, es verriet nichts, sondern starrte mich nur nieder.
    Ich hätte es noch mal versuchen können, denke ich – ihn noch mehr fragen. Doch ich war ziemlich sicher, er würde mir nichts sagen. Also drehte ich mich um, mit einem Nicken zum Abschied, und ging weg.
     
    Über eine belebte Straße, auf eine Verkehrsinsel, weiter auf die andere Seite   … ich sah mich um, peilte den

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