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Candy

Candy

Titel: Candy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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eingeschlossen   …
    Hier liefen miese Sachen.
    Miese Sachen, miese Leute   …
    Ich erreichte den Treppenabsatz zum zweiten Geschoss – wieder ein langer Flur, wieder ein zugezogenes Fenster, wieder sechs Türen. Genau wie unten. Nichts los. Kein bisschen Leben, kein bisschen Freude. Ich wandte mich ab   … und wollte gerade weitergehen, als ich hörte, wie eine Tür aufging. Ich drehte mich zurück. Auf halber Höhe des Flurs trat ein Mädchen in weißem Bademantel |203| aus einem Zimmer. Olivfarbene Haut, barfuß, dunkelhaarig, hübsch. Als sie mich sah, blieb sie stehen.
    Ich lächelte sie an.
    Sie lächelte nicht zurück. Sie machte überhaupt nichts. Ihr Blick war leer. Ihr Mund geschlossen und ohne Ausdruck   … als ob er für immer geschlossen wäre.
    »Entschuldigung   …«, sagte ich.
    Sie starrte mich bloß an.
    Ich räusperte mich. »Ich such jemanden   …«
    Sie blinzelte kurz, schüttelte den Kopf, dann schloss sie die Tür und entfernte sich über den Flur. Ich beobachtete, wie sie eine andere Tür öffnete und in einen Raum hineinging, der wahrscheinlich das Badezimmer war. Die Tür schloss sich. Wasserhähne begannen zu laufen.
    Ich stand einen Moment da, fühlte mich seltsam unberührt, dann ging ich weiter die Treppe hinauf.
    Das dritte Geschoss war genauso trist wie die andern – trister Flur, triste Türen, triste Wände, tristes Fenster   –, aber es wirkte nicht ganz so leblos. Zum einen gab es eine Lampe mit einem Papierschirm voller Spinnenweben, die von der Decke hing. Außerdem war auch die Musik lauter. Die Radiomusik   … sie schien aus dem ersten Zimmer rechts zu kommen.
    Musik, Lampe   … es war nicht viel, aber wenigstens vermittelte es einen gewissen Eindruck von Leben.
    Es gab keine weitere Treppe mehr nach oben. Keinen anderen Weg. Das war die dritte Etage   … das waren die Wohnungen der dritten Etage. Ich wusste nicht, ob das Haus viktorianisch war. Ganz sicher war es nicht renoviert, doch das änderte nicht viel.
    Ich war jetzt hier   …
    |204| Ich war hier.
    Ich konnte also auch weitermachen.
    Ich ging den Flur entlang und blieb vor dem Zimmer stehen, aus dem die Musik drang. Sie klang noch immer gedämpft, aber ziemlich gut – irgendein asiatischer Hip-Hop   … jaulende Gitarren, Off-beat-Drums, eine gute Stimme. Ich hörte eine Weile zu, dann holte ich tief Luft, ließ sie langsam wieder heraus und klopfte an die Tür.
    Das Mädchen, das öffnete, sah nicht gesund aus. Sie hatte ein abgemagertes, kantiges Gesicht, blasse, schwammige Haut und gelbliche Augen. Ihr Haar hatte keinen Schnitt – es war einfach nur kurz, schwarz, streng – und ihre Kleidung wirkte billig.
    Sie sagte nichts, sondern sah mich bloß durch den fünf Zentimeter breiten Türspalt an.
    »Ich suche Candy«, erklärte ich ihr.
    Sie antwortete nicht, warf nur einen Blick über meine Schulter. Ich drehte mich um, um zu sehen, wohin sie schaute, aber da war nichts. Also wandte ich mich wieder dem Mädchen zu.
    »Candy«, wiederholte ich. »Wohnt die hier?«
    »Wer bist du?«, fragte sie. Ihre Stimme klang leise, abgehackt und hatte einen ausländischen Akzent. Ich wusste nicht, was es für einer war – russisch vielleicht   … irgendwas Osteuropäisches   …
    »Ich bin Joe«, sagte ich zu ihr. »Ich bin ein Freund von Candy   … wir haben uns ein paarmal getroffen. Ist sie hier?«
    Das Mädchen öffnete die Tür etwas weiter. »Freund?«
    Ich nickte.
    »Ihr Freund?«
    »Na ja   …«, sagte ich, »ich weiß nicht   … nicht ganz. Ich bin nur–«
    |205| »Känguru?«
    »Wie bitte?«
    »Zoo?«
    »O ja   …
Zoo
… ja, das stimmt   … wir sind im Zoo gewesen. Candy hat mir das Känguru gezeigt. Hat sie dir das erzählt?«
    »Da«, sagte das Mädchen und deutete den Flur entlang auf die letzte Tür links. »Geht ihr nicht gut.«
    »Nicht gut?«
    Das Mädchen zuckte die Schultern. »Du nicht herkommen, nicht gut.«
    »Wieso nicht?«
    Sie zuckte noch einmal die Schultern, dann trat sie zurück und schloss leise die Tür vor meiner Nase. Ich überlegte, ob ich noch einmal klopfen oder vielleicht sogar nach ihr rufen sollte, aber das schien nicht viel Sinn zu haben. Sie hatte mir alles gesagt, was ich wissen musste.
    Mehr noch.
     
    Stell dir vor: Du bist den ganzen Tag in London rumgelatscht, verloren in einem chaotischen Labyrinth, du hast die Wirklichkeit ignoriert, in einer Hoffnung gelebt, die genährt ist von Gefühlen, die du selbst nicht verstehst. Du hast einen Traum

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