Candy
wollte sie so den Schmerz lindern. Ihr Haar hing wirr herab und sie trug ein langes weißes Nachthemd. Das Nachthemd wirkte alt, vergilbt, dünn und war mit Spitzen versehen … dünn genug, um zu |209| erkennen, dass sie nichts drunter trug. Die Form ihres Körpers schimmerte durch den Stoff.
Ich senkte die Augen.
Sie sagte: »Ich
wollte
es dir sagen … ehrlich …«
»Mir was sagen?«, fragte ich.
»Jetzt komm, Joe – was wohl? All das hier …« Sie wedelte mit der Hand durch das Zimmer. »Was ich bin … was ich tue …«
Ich hob den Blick und sah sie an. »Warum hat er dich verprügelt? War es wegen mir?«
Sie zuckte die Schultern. »Wegen dir … wegen mir … was spielt das für eine Rolle? Ich kenne die Regeln – ich kann mir nur selbst die Schuld geben.« Sie langte hinüber zum Nachttisch, kurz aufzuckend vor Schmerz, und wühlte im Chaos. Sie fand eine Zigarette, zündete sie an. »Normalerweise geht er ja nicht so weit«, sagte sie und grinste durch den Rauch. »Ich glaube, er hat sich einfach nicht mehr bremsen können.«
»Nicht mehr bremsen können?«
, sagte ich fassungslos. »Guck mal, was er dir angetan hat … wie kannst du zulassen, dass er dir so was antut?«
»Zulassen?«, sagte sie und schüttelte den Kopf. »Gott, du verstehst es echt nicht. Du weißt überhaupt nicht, wie das ist.«
»Dann erklär’s mir.«
»Warum? Was macht das für einen Unterschied?« Sie schnippte Zigarettenasche in eine leere Coladose, dann hob sie den Blick und sah mich genau an. »Ich bin eine Hure, Joe. Ich gehe für Geld mit Männern mit. Das Geld gebe ich Iggy. Er gibt mir Drogen. Das ist alles, was es dazu zu sagen gibt.«
»Und das ist es, was du willst, ja?«
»So läuft es nun mal. Was ich will, hat damit nichts zu tun.«
|210| »Und was willst du?«
Sie starrte mich an, ihre Augen versunken in Tränen. »Ich will, dass du gehst. Verschwinde hier. Geh nach Hause. Misch dich nicht ein, Joe … bitte … geh. Du kannst nichts tun …«
Sie weinte jetzt.
Ich ging hin und setzte mich neben sie aufs Bett. Sie zog die Nase hoch und putzte sie sich dann. Ich nahm ihr die Zigarette aus der Hand, steckte sie in die Coladose, danach legte ich den Arm um ihre Schultern.
»Bitte …«, sagte sie schniefend, »es ist die Sache nicht wert …«
»Doch, ist es«, sagte ich und zog sie näher.
Sie legte den Kopf auf meine Schulter. Ich spürte ihre Tränen feucht auf meinem Hals.
»Er bringt dich um«, sagte sie leise.
Ich schaute ihr in die Augen und lächelte. »Dazu muss er mich erst schnappen.«
Sie lächelte nicht zurück, sondern sah mich nur einen Moment an, die Tränen flossen noch immer, dann atmete sie leise aus und küsste mich.
Die Berührung ihres Körpers.
Ihr warmer Atem.
Ihr Ruhigwerden.
Mein Erstaunen.
Die Welt in unseren Augen.
Es war mehr als genug für uns beide.
Dann redeten wir – lagen auf dem Rücken, beide auf dem Bett, und starrten die Decke an … einfach nur redend. Es war ein gutes |211| Gefühl. Schön und einfach. Wie zwei kleine Kinder, die im Gras liegen und in den immerblauen Himmel starren … ohne Sorge … ohne Angst …
»Wohin ist Iggy gegangen?«, fragte ich sie.
»Weg.«
»Kommt er bald zurück?«
»Dann wärst du bestimmt nicht hier. Wie hast du mich überhaupt gefunden?«
»Sehr nett, danke«, antwortete ich.
»So hab ich das nicht gemeint.«
»Ich weiß.«
Ich erzählte ihr, wie ich King’s Cross abgesucht hatte in der Hoffnung, sie zu finden, wie ich plötzlich Iggy sah und ihm gefolgt war, dann im Park gewartet hatte und mir meinen Weg ins Haus ergaunert hatte, indem ich der schwarzen Frau mit ihren zwei Taschen half.
»Das ist Bamma«, sagte Candy.
»Wie?«
»Bamma – die Frau mit den zwei Taschen. Sie heißt Bamma. Macht hier sauber, geht einkaufen und so. Die ist in Ordnung. Sie wird nichts verraten.«
Schatten schwebten an der Decke über mir entlang – Straßenlichtschatten, Fensterschatten, die Schatten von Metallstäben – und ich erinnerte mich an das unheimliche Zeug, das mir durch den Kopf gegangen war, als ich die Stäbe von außen angestarrt hatte: der Wirrwarr, die Farben, die namenlosen Formen …
Ich wollte jetzt nicht darüber nachdenken.
»Was ist mit deinem Handgelenk?«, fragte ich Candy. »Ist es gebrochen?«
|212| »Nein, nur verstaucht, glaub ich.« Sie streckte vorsichtig ihre Finger. »Alles in Ordnung …«
»Und der Rest?«
»Welcher
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