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Candy

Candy

Titel: Candy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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gesucht, ohne je recht zu glauben, dass du ihn fändest, aber jetzt – unfassbar– hast du ihn doch gefunden. Er befindet sich direkt vor dir – gleich hinter der vergilbten weißen Tür. Direkt vor dir   …
    Sie
befindet sich vor dir.
    Hinter der Tür.
    |206| Stell dir das vor.
    Candy ist da drin.
    Du musst nur die Hand heben und klopfen   …
    Das ist alles.
    Nur die Hand heben   …
    Ich schaffte es nicht. Mein Arm rührte sich nicht. Er war tot, gefühllos   … reagierte nicht. Er gehörte jemand anderem. Ein, zwei Minuten stand ich nur vor der Tür, starrte die rissige Farbe an, die verdreckte Füllung, das schlecht eingefügte Schloss   … meine Hände hingen an den Seiten herab   … mein Kopf dröhnte   … mein Körper glühte   … heiß   … kalt   … alles durcheinander   … krank von zu vielen Gefühlen. Aufregung, Angst, Verlangen, Schmerz, Leidenschaft, Hoffnung.
    Alles.
    Nichts.
    »Candy?«, flüsterte ich.
    Zu leise.
    Ich versuchte es noch mal. »Candy?«
    Es war noch immer zu leise, aber irgendwie machte der Ton meiner Stimme den Arm wieder lebendig und ich hob ihn und klopfte an die Tür.
    »Candy?«, rief ich. »Bist du da drin? Ich bin’s, Joe   …«
    Keine Antwort. Ich legte ein Ohr an die Tür und horchte. Zuerst nichts   … dann etwas   … ein leises Rascheln   … ein Knarren   … ein einzelner Schritt. Dann wieder Stille. Ich klopfte noch mal.
    »Candy   … bitte   … mach auf.«
    Diesmal hörte ich sie genau. Leichte Schritte, die langsam auf mich, auf die Tür zukamen. Ich trat zurück – wieso, weiß ich nicht   … es schien ganz natürlich, das zu tun. Ich trat zurück und |207| steckte die Hände in die Hosentaschen. Wieder wusste ich nicht, warum ich es tat. Ich machte es einfach.
    Die Tür öffnete sich.
    Und da stand sie – das erträumte Gesicht, in seiner ganzen Wirklichkeit: blass, schmerzverzerrt, grün und blau geschlagen. Das eine Auge schwarz gerändert und ihr linkes Handgelenk geschwollen und verbunden.
    »Candy«, hauchte ich. »Was ist passiert?«
    »Ich kann nicht mit dir sprechen«, sagte sie schwach. »Du musst verschwinden   …«
    »Ich verschwinde nirgendwohin. Schau dich an   … dein Gesicht   …«
    »Das ist nichts«, sagte sie und fuhr sich über die hässliche Schwellung um das Auge. »Mir geht’s gut. Bitte, Joe   … geh einfach   … lass mich allein. Du machst alles nur noch schlimmer.«
    »Nein.«
    »Doch   … glaub’s mir.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Ich verschwinde nirgendwohin, solange du nicht mit mir redest.«
    »Ich kann nicht.«
    Ich reagierte nicht. Stand nur da und starrte in ihre Augen, um ihr meine Entschlossenheit zu zeigen. Ich würde nicht wieder gehen. Sie konnte die Tür schließen, wenn sie wollte. Sie konnte sie abschließen, verriegeln, zunageln   … sie konnte tun, was sie wollte. Aber ich würde hier nicht weggehen.
    Sie sah mich wieder unruhig an und kaute nervös auf den Lippen.
    Ich sagte: »Je eher du mich reinlässt, desto schneller bin ich wieder weg.«
    |208| Sie schloss einen Moment die Augen – ihr Gesicht verdunkelt von Traurigkeit   –, dann trat sie, ohne mich anzusehen, zurück und öffnete die Tür.
     
    Es war keine Wohnung, sondern bloß ein Zimmer. Und zwar ein ziemlich armseliges Zimmer. Es gab ein Doppelbett, einen Schrank, einen Frisiertisch mit Spiegel, ein paar Regale, das ein oder andere Buch   … einen billigen C D-Player auf dem Fußboden, überall Klamotten und Handtücher gestapelt. An der gegenüberliegenden Wand war ein Durchgang zu einem kleinen Badezimmer mit einem Vorhang aus Perlenschnüren davor. Eine Küche gab es nicht, auch keine Küchenutensilien – weder Essen noch Kühlschrank oder Herd. Keinen Fernseher, nichts Schmückendes, keine Bilder   …
    »Sag nichts«, sagte Candy und setzte sich vorsichtig auf ihr Bett. »Bitte   … sag nichts.«
    Das Bett war ein einziges Chaos – zerwühlte Laken, zusammengeknüllte Kissen. Ein Nachttisch mit allem möglichen Kram. Ich ging hinüber zu dem Frisiertisch und setzte mich auf einen Stuhl mit harter Rückenlehne. Der Frisiertisch war voll mit Fläschchen, Tiegeln, Gläsern und Tuben   … Fetzen Alufolie, Frischhaltefolie   … Streichhölzern   … Feuerzeugen   … Päckchen mit Schmerztabletten   …
    »Ich konnte es dir nicht sagen«, erklärte Candy.
    Ich drehte mich um und sah sie an. Sie saß im Schneidersitz, leicht zur Seite geneigt, die Hand in die Hüfte gestützt   … als

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