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Candy

Candy

Titel: Candy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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mir, dass ich wüsste, was ich tun sollte.
    Aber ich wusste es nicht.
    Und was tut man am besten, wenn man nicht weiß, was man tun soll? Nichts. Einfach warten. Sich Zeit lassen. Abwarten, was passiert.
    Genau das tat ich.
    Ich wartete.
    Ich ließ mir Zeit.
    Und nach einer Weile sah ich, was passierte.
    Eine schwarze Frau näherte sich dem Haus. Sie war groß und massig, hatte einen abgetragenen beigefarbenen Mantel an und in jeder Hand eine volle Tragetasche. Die Tragetaschen sahen schwer aus. Supermarkttüten voll mit Einkäufen. Sie blieb einen Moment vor dem Haus stehen und setzte die Taschen auf dem Bürgersteig ab, dann nahm sie sie wieder auf und kämpfte sich die Stufen hinauf, Schritt um Schritt.
    Ich befreite mich aus den Büschen, rannte den Weg entlang, bremste, als ich durchs Tor kam, zu einer normalen Gangart ab und überquerte die Straße. Die Frau war jetzt an der obersten Stufe angekommen. Sie hatte die Tragetaschen abgestellt, klingelte und beugte sich zu der Gegensprechanlage vor. Mein Herz raste, als ich mich dem Haus näherte, aber ich zwang mich zu lächeln   … |200| und sprang die Stufen hinauf, als die Haustür aufschwang und sich die Frau hinabbeugte, um die Taschen anzuheben   …
    Ich trat auf sie zu, immer noch lächelnd, und sagte: »Ach, lassen Sie mich das für Sie machen.« Ehe sie etwas erwidern konnte, hatte ich schon die Taschen geschnappt und hielt ihr die Tür auf. »Nach Ihnen«, sagte ich ganz heiter und gelöst. Sie sah mich etwas komisch an, dann zuckte sie die Schultern und ging hinein. Ich folgte ihr, sah mich um, nahm alles auf: den düsteren Flur, den mit Werbepost voll gestapelten Tisch im Flur, den fleckigen Linoleumboden, die steile Treppe rechts von mir, den Geruch nach abgestandener Luft   …
    »Wohin wollen Sie sie haben?«, fragte ich die Frau und deutete auf die Tragetaschen.
    »Einfach hier«, antwortete sie.
    Ich stellte die Taschen auf den Boden. Sie sah mich noch einmal an, dann nahm sie sie auf, entfernte sich den Flur entlang und ließ mich am Fuß der Treppe zurück, von wo aus ich hinauf ins Unbekannte blickte, während meine Eingeweide hämmerten wie tausend Trommeln.

|201| 12.   Kapitel
    D as Haus wirkte leer, als ich die Treppe hinaufging. Ich wusste, dass es das nicht war – ich hörte die Frau, die mich reingelassen hatte, unten mit den Schubladen klappern und von irgendwo über mir erklang das schwache Geräusch eines Radios hinter geschlossenen Türen. Trotzdem wirkte alles leer. Die dunkle Treppe, die farblosen Wände, der abgetretene Teppich unter meinen Füßen   … hier gab es nichts. Kein Leben, keine Seele. Keine Wohnlichkeit. Das hier war kein Zuhause; es war einfach ein Ort.
    Ich bewegte mich vorsichtig, verharrte nach jedem Schritt, verhielt mich still, schaute auf, horchte genau   … dann der nächste Schritt   … wieder verharren   … wieder ein Schritt   … wieder verharren. Es war ein Gehen in Zeitlupe, aber ich wollte nichts provozieren. Ein trübes Licht schien aus dem zweiten oder dritten Geschoss und ich hörte noch immer das Radio   …
    Es gab Leute hier.
    Irgendwo.
    Ich stieg weiter hinauf ins erste Geschoss und verharrte dort auf dem Treppenabsatz. Rechts von mir erstreckte sich ein langer Flur. Er ähnelte dem Flur unten, nur dass dieser hier Türen besaß – sechs Türen, drei auf jeder Seite. Sie waren alle geschlossen. In |202| der atemlosen Stille konnte ich unten auf der Straße Autos vorüberfahren hören. Scheinwerfer schwenkten über das mit einem Vorhang zugezogene Fenster am Ende des Flurs und erleuchteten kurz die abgewetzten alten Wände, dann zogen die Lichter vorbei und der Flur versank wieder in seinem Halbdunkel. Ich atmete ein und versuchte mich zu beruhigen. Die Luft hier oben roch anders als unten. Sie roch fast sauber, doch nicht ganz – ein bisschen nach Frischluftspray-Sauberkeit. Nach einem Geruch, der unangenehme Ausdünstungen vertreiben soll, aber es nicht schafft – er übertüncht sie nur.
    Unten schepperten Töpfe – die schwarze Frau   …
    Ich ging weiter.
    Die Treppe hinauf zum zweiten Geschoss   … oder war es das dritte? Ich war mir nicht sicher.
Zählt das Erdgeschoss als erstes Geschoss?
    Spielt das eine Rolle?
    Nein, tut es nicht. Es war nur etwas, worüber ich nachdenken konnte, während ich die Treppe hochging, etwas, um die Gedanken an die Schmuddeligkeit, Leere und den überwältigenden Angstgeruch fern zu halten, der das Haus und alles darin durchdrang, mich

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