Candy
durch den Perlenvorhang ins Bad. Ich beobachtete die Perlen, wie sie der Bewegung ihres Körpers folgten, sich kurz an ihn anschmiegten, und ich dachte daran, wie sie in dem Café im Zoo von mir weggegangen war – keine Eitelkeit, kein Sich-zur-Schau-Stellen, nichts Frivoles … unterwegs mit einem Ziel … als ob sie entweder nicht wusste, dass ich sie beobachtete, oder als ob es ihr gleichgültig war.
Genau wie jetzt.
Um zu nehmen, was sie brauchte.
|218| Ich überlegte, dass es für sie gar keinen Unterschied machte. Sie nahm einfach, was sie brauchte, und das war alles. Es spielte keine Rolle, dass ich es nicht verstand. Es spielte keine Rolle, dass es mir nicht gefiel. So war es nun mal. Was mir gefiel oder was ich wollte, zählte nicht. Also saß ich bloß da, sah mich im Zimmer um, dachte nach, lauschte den geheimen Geräuschen, die aus dem Badezimmer drangen – das Quietschen von Wasserhähnen, das Rattern der Leitungen. Das Rascheln von Plastik und Alufolie, das Klicken eines Feuerzeugs …
Ich stand vom Bett auf, ging hinüber zum Fenster und zog die Vorhänge weg. Sie fühlten sich steif an und kalt. Das Fenster war geschlossen. Verriegelt. Außen vergittert. Ein Muster verwischter Spuren auf der verschmierten Scheibe zeigte, wo Candy aus dem Fenster gestarrt und ihre Nase gegen das Glas gedrückt hatte.
Ich fragte mich, wonach sie geschaut hatte.
Draußen war es vollkommen dunkel.
Die Straßenbeleuchtung spiegelte sich in der Oberfläche der Fahrbahn, in der Ferne flackerten zu Tausenden die Lichter der Stadt: orangefarbene Lichter, die anmutig die Windungen der Straßen nachzeichneten, eisig grüne Verkehrsampeln, das runde weiße Licht von Kreisverkehren … bewegte Linien, der Sturz des Himmels, Lichter über Lichter …
Ich konnte kilometerweit sehen.
Ich sah nichts.
Ich schaute hinüber zum Badezimmer, trieb Candy in Gedanken an:
Komm schon raus … bitte … wenn du noch länger brauchst, muss ich irgendwas unternehmen. Ich werd nach dir rufen müssen … und wahrscheinlich wirst du keine Antwort geben … und dann muss ich kommen … nachschauen, ob du okay bist … und ich
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werde dich auf der Toilette sitzen sehen, wie du Heroin rauchst, ganz vornübergebeugt und hässlich, mit einem Plastikstrohhalm, der dir aus dem Mund ragt …
Die Toilette rauschte. Ich durchquerte das Zimmer und setzte mich aufs Bett. Der Abfluss gurgelte, die Wasserleitung rauschte, die Toilette rauschte noch einmal … dann klimperten und rauschten die Perlenschnüre im Eingang – und da war sie, eine Vision in Weiß, schwebte den Weg ums Bett und setzte sich neben mich. Sie hatte wieder diesen Ausdruck an sich – so wie sie saß, baumelnd und sorglos, mit hängendem Kopf … dieses merkwürdige kleine Lächeln auf ihren Lippen …
»Tut mir Leid …«, sagte sie. »Ich musste … du weißt schon …«
»Kein Problem.«
»Ich … äh …«, murmelte sie. »Wo war ich?«
»Wie bitte?«
Sie hob den Kopf und sah mich an, ihr zugedröhnter Blick wanderte über mein Gesicht. »In der Geschichte …«, sagte sie. »Ich hab dir die Geschichte erzählt …« Sie warf ihren Kopf zurück und fuhr sich mit den Fingern durch die Haare. »Himmel, es ist so jämmerlich …«
»Was?«
»Das Ganze … ich … was passiert ist …
warum
es passiert ist. Es ist so bescheuert. Es ist nichts. Ich meine, es ging mir gut … ich war okay. Es ist nichts wirklich Schlimmes passiert, das das Ganze auslöste. Ich bin nicht verprügelt, vergewaltigt oder missbraucht worden oder so.« Sie schüttelte den Kopf. »Da war nur ein bisschen Eifersucht, ein bisschen Zurückweisung und jede Menge Selbstmitleid. Nicht wirklich ein Grund, um so zu enden, was?«
|220| »Ein Grund ist ein Grund«, sagte ich.
»Ja, schon …«
Ihre Augen schlossen sich wieder und ihr Kopf sank zurück auf die Brust. Einen Moment glaubte ich, sie wäre eingenickt, aber dann holte sie tief Luft, richtete sich auf, öffnete ihre Augen und sah mich an.
»Was habe ich gerade gesagt?«, meinte sie.
»Du hast über Gründe gesprochen.«
»Nein, davor. Bevor ich ins Bad ging.«
»Du hast mir von Iggy erzählt«, erinnerte ich sie. »Wie er dich nach Hause gefahren hat …«
»Ja, richtig … er hat mich nach Hause gefahren. Das stimmt. Er war
sooo
nett … Wie lange ist das her?« Sie schüttelte den Kopf. »Lange … viele Jahre. Ich war brav damals …
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