Cantucci-Herzen brechen nicht: Roman (German Edition)
Golfschuhe zu schenken. Sie wusste nur nicht mehr, was für eine Größe er hatte.
Hätte sie es wissen müssen?, fragte sie sich und blickte sich abermals in dem Schrank um. Hätte eine Frau, die wusste, was sie schenkte, und die die Schuhgröße ihres Mannes kannte, wahrscheinlich nicht ein laminiertes Foto von einer schönen Frau und zwei Kindern gefunden, versteckt unter der Innensohle?
Die Frage nach seiner Schuhgröße hatte sie in seinen Schrank geführt. Sie hatte den Schuh genommen und umgedreht, woraufhin die heimliche, für immer makellose Familie herausgeklappt war. Hätte sie seine Schuhgröße gewusst oder nach dem anderen Schuh gegriffen, wäre die für immer makellose Familie ein Geheimnis geblieben.
Während Lily auf das laminierte Foto starrte, das sie nach wie vor umklammert hielt, hatte sie plötzlich das Befürfnis, sich zu setzen. Würde sie zu explosionsartigen Gefühlsausbrüchen neigen, hätte sie jetzt sicher einen, das wusste sie, aber sie war nicht so gestrickt. Ihre Gefühle– in der Regel eine sortierte, kontrollierte Kollektion– schienen durcheinander, während ihr Körper auf dem besten Weg dorthin war. Ihre Beine zitterten, wurde ihr bewusst. Das war auch der Grund, warum sie sich setzen musste. Das war ein normaler Reflex. Das war gut.
Sie hockte sich, leicht wie eine Feder, auf die Bettkante. Das kleine Mädchen auf dem Foto war ungefähr fünf, schätzte sie, und der Junge war nicht viel älter als ein Baby.
Ein Baby.
Ein zerknautschtes, gurgelähnliches Wimmern, ein beinahe niedlicher, welpenhafter Ton entwich ohne ihre Erlaubnis.
Sie starrte auf die Frau auf dem Foto, während sie mit dem Daumen an der scharfen Plastikkante entlangfuhr. Sie war nicht wirklich hübsch, diese Frau, nicht nach amerikanischen Maßstäben wie Lily, aber sie besaß diese wilde, trotzige Schönheit, die » die anderen Frauen« oft zu haben schienen– nicht richtig gefährlich, aber dicht davor. Ihre Lippen waren schmal, ihre Wangenknochen spitz, das dunkle, widerspenstige Haar wehte der Wind ihr ins Gesicht. Und sie lächelte, mehr oder weniger, zu dem Fotografen, der ohne Zweifel Daniel war, Lilys Ehemann, mit dem sie seit sechzehn Jahren verheiratet war und der die andere Hälfte des Traumpaars bildete, wie sie von allen genannt wurden.
Wieder entwich ihr ein ersticktes Gurgeln, während sie mit den Fingern über das kleine Mädchen strich. Es hatte die gleichen Haare wie seine Mutter, lang und dunkel, und den gleichen trotzig wilden Ausdruck, aber es hatte Daniels Augen, sein Kinngrübchen. Es stand ein kleines Stück vor seiner Mutter, ohne sie zu berühren, und blickte frech in die Kamera, als wollte es Daniel herausfordern, das Foto überhaupt zu machen.
Der Kleine war der Glücklichste in der Runde. Sein Gesicht war seiner Mama zugewandt, während er darüber lachte, was der Wind mit ihren Haaren veranstaltete. Er trug ein T-Shirt und etwas Gestreiftes an den Beinen, das nicht wirklich zusammenpasste. Lily hatte ganze Schubladen voll mit Babykleidung, die dem Kleinen besser stehen würde. Eins seiner Speckärmchen war in die Luft gereckt, während seine kleine Patschhand mit den winzigen dicken Fingern nach einer glänzenden schwarzen Ringellocke grapschte, die der Wind knapp aus seiner Reichweite blies. Er sah genauso aus wie Daniel auf seinen Babyfotos. Genau gleich.
Lily hätte weinen sollen, das wusste sie. Sogar laut schreien. Aber Weinen schien eine unzureichende Reaktion zu sein, genau wie lautes Fluchen. Tränen und Gejammer waren etwas für den alltäglichen Liebeskummer. Das hier war etwas anderes. Wieder spürte sie es, an dem Zucken in ihrem Arm, an dem dünnen Schweißfilm auf ihrer Stirn: Verwirrung.
Lily hatte sich eine Karriere aufgebaut, gerade weil sie nie verwirrt war. Vielmehr war sie bekannt für ihre Selbstsicherheit. Damit hatte sie es bis zur Vizepräsidentin gebracht in einem Unternehmen, das zu den fünfhundert umsatzstärksten weltweit gehörte– und zu den größten im Land–, eben mit diesem unerschütterlichen, angeborenen Instinkt. Er hatte ihr Wohlstand und Erfolg gebracht. Er war ihr wertvollster Besitz geworden, und sie vertraute auf ihn.
Dennoch, nun, da sie vor der zweifellos größten Krise in ihrem Privatleben stand, kauerte ihre Fähigkeit, stets zu wissen, was zu tun war, in einer fernen Höhle, wo sie sich ihre Wunden leckte, das Licht mied, sie im Stich ließ.
Die Sache war die, dass Lily ihre Ehe, im Grunde Daniel selbst, während sie
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