Cantucci-Herzen brechen nicht: Roman (German Edition)
waren ihr beruflicher Erfolg und ihre stille Annahme, dass Daniel sie liebte, was auch kommen mochte, dass sie diejenige war, die ihm am meisten bedeutete, und nicht dieser Hauch einer Zukunft, die sie nicht wahrzumachen vermochte.
Aber er ging her, die ganze Zeit, und verwandelte diesen Hauch in Wirklichkeit aus Fleisch und Blut mit einer anderen Frau auf der anderen Seite der Welt.
Lily sah auf ihre Uhr. Es war elf an einem Sonntagvormittag.
Sie ließ das Foto in die Tasche ihres seidenen Morgenmantels gleiten und ging anschließend durch die Diele in die Küche, wo sie den Kühlschrank aufmachte. Ein leichter weißer Pinot Grigio starrte ihr frech entgegen, ungeöffnet. Sie hatte versucht, kürzer zu treten, da Wein sich verheerend auf ihre Taille auswirkte, nachdem sie die vierzig überschritten und sich in den letzten paar Jahren angewöhnt hatte, in den Wochen alleine zu trinken, in denen Daniel fort war.
Lily hatte nie geraucht, hatte für Drogen nichts übrig und widerstand schon seit langer Zeit den Verlockungen von Schokolade. Das gelegentliche Glas Wein, vermutete sie, war das Laster ihrer Wahl geworden. Und irgendwann waren aus einem Gläschen nach der Arbeit zwei geworden, dann drei, bis sie an manchen Abenden eine ganze Flasche leerte.
Sie liebte das warme, schwebende Kissen des Wohlbefindens, das jeder Schluck mit sich brachte, aber sie liebte nicht die verquollenen Augen und den Brummschädel am nächsten Morgen. Und nicht die Kalorien!
Daniel war seit drei Tagen fort, und sie hatte keinen Tropfen angerührt.
Sie zog den Korken heraus und goss eine großzügige Menge in ein hohes Kristallglas.
2
Violetta wurde wach und spürte den großen Zeh ihrer Schwester, der sich in ihre Achselhöhle bohrte. Sie hob verschlafen den Kopf aus dem Kissen. Am anderen Ende des klapprigen alten Betts lag Luciana, deren runzliger Rüssel zuckte, während die Augen funkelten und ihr faltiges Lächeln sich über alte Lippen spannte, die eine zufällige Ansammlung von fröhlich schiefen Zähnen entblößten.
» Er pocht«, krächzte Luciana und bohrte den Zeh wieder in Violettas Achselhöhle. » Ich bin mir ganz sicher, Schwester. Ja, gelobt sei Santa Ana di Chisa. Er pocht definitiv!«
Violetta rieb sich ihren eigenen runzligen Rüssel.
» Und, sie kribbelt, nicht wahr?«, rief Luciana. » Ich weiß es. Sie kribbelt! Und ich rieche es! Kannst du es auch riechen? Ich kann es riechen!«
Beide hoben die Gesichter, ähnlich Maulwürfen, in die Luft und schnüffelten.
» Orangenblüten!«, trällerte Luciana. » So deutlich wie die Altersflecken auf deiner Wange, Violetta. Orangenblüten!«
Violetta nickte. Seit Dekaden war der berauschende Duft der Orangenspätblüte der einzige gemeinsame Anhaltspunkt für die Schwestern, dass ihnen ein besonderer Tag bevorstand. Die nicht gemeinsamen Anhaltspunkte waren, dass Violetta mit einem Kribbeln in der Nase aufwachte und Luciana mit einem pochenden Zeh. Dann schnupperten sie die Orangenblüten, es entstand eine hektische Aufregung, und ehe sie sich’s versahen, beriefen sie eine Versammlung ein und heckten einen Plan aus.
» Oh, ich bin genau in der richtigen Stimmung dafür«, sagte Luciana. » Beziehungsweise ich werde es sein, sobald ich diesen müden, alten Körper ans Laufen kriege. Könntest du mir meinen Zeh kurz massieren? Es wird jedes Mal schlimmer. Was macht das Kribbeln?«
» Musst du so gut gelaunt sein?«, brummte Violetta. Ihr eigener alter Körper fühlte sich an wie ein Klumpen ungeformter Lehm, der in der Sommerhitze zurückgelassen worden war, ausgetrocknet und missgebildet, und nun konnte ihm nichts das Versprechen der Vergangenheit zurückgeben. » Wer den Tag beginnt in der allerbesten Stimmung, kann nirgendwo anders hingehen.«
Dennoch steckte sie eine Hand unter die Decke und tastete nach dem Fuß ihrer Schwester, während sie die andere benutzte, um den fadenscheinigen Vorhang aufzuziehen, der nur die ersten sanften Strahlen der frühen Morgensonne abschirmte.
Draußen klammerte ein zarter toskanischer Nebel sich schlüpfrig an die tiefgeschwungenen Hügel im Val d’Orcia. Dahinter schoben sich dunkle Wolken launisch über den Horizont. Kein Wunder, dass die Sonne so mild war heute Morgen. Es würde Regen geben.
Violetta rümpfte die Nase. Normalerweise mochte sie das Kribbeln– es war aufregend, wie eine unendlich nützlichere Version von Niesen. Aber heute kribbelte es nicht so stark. Heute war irgendetwas anders.
Sie ließ Lucianas
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