Capitol

Titel: Capitol Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orson Scott Card

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wieder an und gaben ihm zu essen (und er dachte voller Bitterkeit an das kleine Kind, das wegen Nahrungsmangel gerade jetzt draußen im Gras sterben mußte), und sie umringten ihn und legten sich um ihn herum, um ihn im Schlaf zu beschützen.
    Ihr betrügt mich. Ich kam her, um zu sterben, und ihr betrügt mich.
    Und er weinte bitterlich, und sie bewunderten seine Tränen, und nach einer halben Stunde, lange bevor der kalte Mond aufging, war er eingeschlafen und fühlte sich immer noch betrogen, aber irgendwie empfand er auch tiefen Frieden.

    *

    Mrs. Danol saß mit fest verschränkten Armen in einem Sessel in Horts Büro, und ihre Augen folgten wütend jeder Bewegung, die er machte – oder nicht machte.
    »Mrs. Danol«, sagte er endlich, »es würde uns allen, auch Ihnen helfen, wenn Sie nach Hause gingen.«
    »Nein«, antwortete sie scharf, »erst wenn Sie meinen Jungen gefunden haben.«
    »Mrs. Danol, wir suchen ihn nicht einmal.«
    »Darum gehe ich ja auch nicht.«
    »Die Regierung schickt nachts keine Suchtrupps in die Ebene. Es wäre selbstmörderisch.«
    »Linkeree wird also sterben. Ich versichere Ihnen, Mr. Hort, Sie werden es noch sehr bedauern, daß das Hospital nichts mehr unternimmt.«
    Er seufzte. Er war sicher, daß das Hospital doch etwas unternehmen würde – die jährlichen Zuwendungen der Familie Danol machten mehr als die Hälfte des gesamten Budgets aus. Einige Gehälter würden schon gleich nicht mehr bezahlt werden können – als erstes wäre sein eigenes an der Reihe, da hatte er nicht den geringsten Zweifel. Und da er das wußte und außerdem von extremer Müdigkeit heimgesucht wurde, warf er seine diplomatische Höflichkeit beiseite und wies auf einige nackte Tatsachen hin.
    »Mrs. Danol, wissen Sie, daß in neunzig Prozent unserer Fälle die Behandlung der Eltern des Patienten der wirksamste Schritt in Richtung auf eine Heilung ist.«
    Ihre Lippen wurden zu einem Strich.
    »Und wissen Sie auch, daß Ihr Sohn durchaus nicht an einer echten Psychose leidet?«
    Jetzt lachte sie. »Gut. Um so mehr Grund, ihn von hier fortzuschaffen – wenn er die Nacht in der Hölle dort draußen überlebt, die man einen erdähnlichen Planeten nennt.«
    »In Wirklichkeit ist Ihr Sohn die halbe Zeit über völlig normal – ein sehr gescheiter und sehr kreativer junger Mann. Ganz wie sein Vater.« Damit wollte er sie tief treffen. Es funktionierte.
    Sie sprang auf. »Ich wünsche nicht, daß dieser Schuft in meiner Gegenwart erwähnt wird.«
    »Aber während der restlichen Zeit inszeniert er seine Kindheit neu. Kinder sind verrückt, alle sind sie es – nach Erwachsenenmaßstäben. Ihre Verteidigungsstrategien, ihre Art, sich anzupassen sind so, daß ein Erwachsener, der sich ähnlich verhält, als total verrückt gilt. Paranoia, übertriebene Selbstdarstellung, Verweigerung, Selbstzerstörung. Aus irgendeinem Grund, Mrs. Danol, ist Ihr Sohn in den Beziehungsstrukturen seiner Kindheit steckengeblieben.«
    »Und nach Ihrer Ansicht bin ich der Grund dafür.«
    »Das ist nicht nur Ansichtssache. Linkeree war nur dann normal, wenn er davon überzeugt war, Sie umgebracht zu haben. Wenn er Sie tot glaubt, benimmt er sich wie ein Erwachsener. Denkt er, Sie leben noch, verhält er sich wie ein Kind.« Er war zu weit gegangen. Sie schrie vor Wut und schlug über den Tisch hinweg auf ihn ein. Sie zerkratzte ihm das Gesicht. Er konnte gerade noch den Rufknopf drücken, während er sich mit der freien Hand ihrer erwehrte, aber er hatte eine Handvoll Haare verloren und an den Schienbeinen Abschürfungen, als die Wärter herbeieilten, sie zurückrissen, ihr ein Beruhigungsmittel gaben und sie in einen anderen Raum brachten, damit sie sich ausruhen konnte.

    *

    Morgens. Die behaarten Vögel der Ebene waren schon wach und suchten in der anbrechenden Dämmerung eifrig Futter. Sie fraßen die Saugegel, die um diese Zeit träge waren, denn sie hatten sich am Nachtgetier des Graslands gelabt. Linkeree erwachte und war ein wenig überrascht, daß es ein so gutes und natürliches Gefühl war, im Freien im Gras liegend unter Vogelrufen aufzuwachen. Hat sich die Erinnerung an ein Leben in der freien Natur in meiner Rasse erhalten, und fühle ich mich deshalb so wohl? fragte er sich. Er gähnte, stand auf und reckte sich. Er fühlte das Leben kraftvoll pulsieren. Es war ein herrliches Gefühl.
    Die Vaqs beobachteten ihn während ihrer morgendlichen Verrichtungen – sie packten ihre Sachen für die Tagesreise und