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Capitol

Capitol

Titel: Capitol Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orson Scott Card
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konnte er das, aber um welchen Preis? Man würde erstens Linkeree ergreifen, ihn wieder in die Anstalt sperren, wo man bald die Tatsache erkennen würde, daß er alles andere als geisteskrank war, und man würde ihm sauber und schmerzlos die Nadel in den Hintern stechen, die ihn unwiderruflich einschläferte. Und dann war da noch das Kind. Was wollten sie mit einem Vaq-Kind in der Hauptstadt anfangen? In einem Waisenhaus hätten die anderen Kinder es schikaniert, die sich in ihrem Elend und ihrer Unehelichkeit gefreut hätten, in dem Nichtmenschen etwas noch Geringeres vorzufinden, das sie quälen konnten, um damit ihre vermeintliche Überlegenheit zu beweisen. In den Schulen würde das Kind als Intellektueller Paria behandelt werden, das zum Lernen unfähig ist. Man würde es von einem Institut ans andere versetzen – bis die Qual eines Tages zu groß wurde, und das Kind auf der Straße jemanden umbrachte und dafür sterben mußte.
    Linkeree legte das Baby wieder auf den Boden zurück. Wenn dich deine eigenen Leute nicht wollen, will dich auch der Fremde nicht, sagte er stumm. Das Baby schrie immer verzweifelter. Stirb, Kind, dachte er, und bleib von Schlimmerem verschont. »Ich kann nicht das geringste tun«, sagte er laut.
    »Was meinst du damit, wo du so gut malen kannst?« antwortete Zad. Aber Link sah die Sache klarer als sie. Er hatte Zad malen wollen, aber er hatte statt dessen die Mutter gemalt. Jetzt erkannte er etwas, gegen das er sieben Monate lang blind gewesen war – Zads Ähnlichkeit mit seiner Mutter. Deshalb war er ihr an jenem ersten Abend durch die Straßen gefolgt, hatte sie ständig beobachtet, bis sie ihn zuletzt endlich fragte, was denn, zum Teufel –
    »Was, zum Teufel?« hatte Zad gefragt, aber Link antwortete nicht, sondern zerknüllte das Blatt ungeschickt (du hast zwei linke Hände, Linky!), schob sich das Knäuel zwischen die Beine und schlug es vor Wut heftig und damit sich selbst. Er schrie laut auf vor Schmerz. Dann schlug er sich noch einmal.
    »Heh! Heh! Hör auf damit! Sei nicht –«
    Und dann sah, fühlte, roch und hörte er seine Mutter sich über ihn beugen, und ihr Haar fegte über sein Gesicht (wohlriechendes Haar), und Link war von ohnmächtiger Wut erfüllt, und seine Hilflosigkeit wurde dadurch nur noch schlimmer, daß er klare Erinnerungen daran hatte, diese Frau Stunde um Stunde in einer Wohnung voller Bilder im unteren Teil der Stadt geliebt zu haben. Jetzt bin ich erwachsen, dachte er, ich bin jetzt stärker als sie, und immer noch gängelt sie mich, immer noch greift sie mich an, immer noch erwartet sie so verdammt viel, und ich weiß nie, was ich tun soll! Und er hörte auf, sich zu schlagen und fand ein besseres Ziel.
    Das Baby schrie immer noch. Link war einen Augenblick desorientiert und wußte nicht, warum er so zitterte. Dann erinnerte ihn ein weiterer scharfer Windstoß daran, daß dies die Nacht war, während der er sterben würde, in unzureichender Buße für seine Sünden, und wie das Baby würden auch ihn winzige Bisse aussaugen, würden kleine, gefräßige Tiere, die durch die Nacht wanderten, ihn zerbeißen, und der Wind würde ihm einen eisigen Tod bereiten. Der Unterschied würde natürlich sein, daß das kleine Kind es nicht verstehen würde, nie verstanden hätte. Es ist besser, ohne Verständnis zu sterben. Besser, keine Erinnerungen zu haben. Besser, keinen Schmerz zu empfinden.
    Und Link griff nach unten und legte Daumen und Zeigefinger um den Hals des Kindes, um es gleich zu töten und ihm so die Todesqual später in der Nacht zu ersparen. Aber als es Zeit war, fest zuzudrücken, um das Blut und die Luft abzuschnüren, entdeckte Link, daß er es nicht fertigbrachte.
    »Ich bin kein Mörder«, sagte Link. »Ich kann dir nicht helfen.«
    Und er stand auf und schritt davon und ließ das Wimmern des Kindes zurück, das bald im Geräusch des Windes begraben war, der durch das Gras strich. Die Spitzen zerkratzten seine nackte Brust, und er dachte daran, wie seine Mutter ihm früher im Bad den Rücken schrubbte. »Siehst du? Nur ich kann deinen Rücken erreichen. Du brauchst mich, allein schon, um sauber zu bleiben.«
    Ich brauche dich.
    »Du bist Mutters lieber Junge.«
    Ja. Das bin ich, das bin ich.
    »Faß mich nicht an! Kein Mann darf mich anfassen!«
    Aber du sagtest doch –
    »Ich habe von den Kerlen die Schnauze voll. Du bist ein Miststück, und dein Vater war ein noch größeres, und du hast mich alt gemacht!«
    Aber Mutter –
    »Nein, nein,

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