Cappuccino fatale
großes Glas Rotwein.
» Benissimo, alles gut«, sage ich. Erst
jetzt wird mir klar, wie wohl ich mich den ganzen Tag in der neuen Agentur
gefühlt habe. Nach der Vorgeschichte mit Marta und Co. hatte ich das gar nicht
erwartet.
»Ich habe einen äußerst entspannten Chef und sitze mit einer netten
Kollegin im Büro«, erzähle ich, gieße mir ebenfalls einen Rotwein ein und setze
mich zu ihm an den runden Küchentisch.
»Prima«, stellt Aldo fest, »dann hattest du ja heute einen erfolgreichen
Tag. Dein Verehrer hat auch schon angerufen.«
»Mein Verehrer?«
»Ja, der Typ, der nur Grünzeug isst. Ich soll dir ausrichten, du
möchtest ihn zurückrufen. Er fragt, ob du Lust hast, mit ihm heute Abend essen
zu gehen. Eine Handvoll Gras oder so«, fügt er leicht höhnisch hinzu.
Ich muss grinsen. Obwohl ich noch nicht lange in Mailand bin, sind
unsere abendlichen Resümee-Sitzungen am Küchentisch schon jetzt zu einer
kleinen Tradition geworden. So ist Aldo stets en détail informiert, was ich
tue, und macht sich seinen Reim darauf. Auf Renato offensichtlich keinen guten.
»Warst du denn freundlich zu ihm?«, erkundige ich mich besorgt.
»Ja, ich habe ihn sogar gefragt, ob er nicht zu uns zum Essen
vorbeikommen will, da wir am Wochenende ein Lamm geschächtet haben.« Er funkelt
mich über den Rand seiner Lesebrille an wie ein kleiner Junge, der sich über
einen Klingelstreich freut.
»Aldo!« Ich versuche, entrüstet zu klingen.
»Geh und ruf ihn an.« Er deutet in Richtung des Telefontischs im
Wohnzimmer. »Kannst ihm ja sagen, ich hätte mich gebessert und das Lamm doch
wieder laufen lassen.«
Ich wühle Renatos Nummer aus den Tiefen meiner Handtasche und greife
nach dem Telefon.
Beim zweiten Klingeln ist Renato dran. »Pronto?«
»Ciao, Renato. Wie geht es dir?«
»Gut, danke. Ich habe vorhin schon mal bei euch angerufen, aber da
warst du noch nicht zu Hause.«
»Ja, ich weiß, Aldo hat es mir ausgerichtet.«
»Sag mal, sind deine Vermieter Juden? Er hat mir erzählt, dass er
nur koscheres Lamm isst oder so ähnlich.«
»Ja, so ähnlich. Aber du wolltest wissen, ob wir heute Abend
zusammen essen gehen«, beeile ich mich, vom Geschwätz meines Vermieters
abzulenken.
»Ja, ich kenne eine gute Pizzeria, die machen glutenfreie Pizza.
Hast du Lust?«
Was zur Hölle ist Gluten? Neben tierischen Fetten entdecke ich hier
ständig neue Feinde und Gefahren in meinem täglich Brot.
»Okay«, stimme ich zu, »wenn die Glutenfreiheit den Chakren guttut,
dann komme ich mit.«
»Schön, mach das mal«, lacht Renato.
Mir rauscht erneut eine Pranawelle durch den Bauch. Unterhalten wir
uns hier gerade eindeutig zweideutig oder bin ich bloß übernächtigt?
Eine Stunde später betrete ich die aseptisch ganz in Weiß
gehaltenen Räume einer Pizzeria mit riesengroßen, kugelförmigen Deckenlampen
und flachen weißen Tischen, vor denen anstelle von Stühlen nur Sitzkissen aus
weißem Kunstleder liegen.
Renato erwartet mich bereits, lässig auf eines der Polster gegossen,
im hinteren Teil des Lokals. Seine Haltung kenne ich aus der
Müllermilch-Werbung. Ich muss zugeben, sein Body steht dem Typen aus dem Spot in
rein gar nichts nach.
» Ciao, bella «, er erhebt sich leicht für
die obligatorisch hingehauchten baci auf jede Wange.
Ich lasse mich auf eines der Kissen an dem Tischchen sinken und
scanne die bereitliegende Speisekarte. Meine Lieblingspizza Capricciosa gibt es
hier schon mal. Sogar mit Ei und Schinken.
Eine junge kakaobraune Kellnerin im bauchfreien Top und mit
wallenden Haaren stellt zwei Gläser Prosecco vor uns ab. Ich schaue Renato
fragend an, aber er hebt den Daumen.
»Du hast echten Alkohol bestellt?«, frage ich verwundert.
»Heute machen wir eine Ausnahme.« Mit feierlicher Geste erhebt er
sein Glas. »Wir trinken auf deinen ersten Arbeitstag und auf meinen
Riesenerfolg heute: Ich werde nämlich auf der Arte e Oro hier in Mailand ausstellen.«
»Das ist ja großartig, herzlichen Glückwunsch«, gratuliere ich ihm.
»Was ist das denn für eine Ausstellung?«
»Die Arte e Oro , Kunst und Gold«, erklärt
Renato, »ist die Ausstellung eines wichtigen Kunst- und Designvereins in der
Stadt. Da kommen haufenweise gutsituierte Besucher vorbei, bei denen man sich
einen Namen machen kann. Die Standgebühren sind zwar horrend, aber es ist super
schwierig, überhaupt dort reinzukommen.«
Ich bin beeindruckt.
»Ich habe mich nun schon zum fünften Mal beworben«, fährt er fort,
»und dieses Jahr
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