Cappuccino fatale
Großkampagne.
Ich tue das einzig Richtige in Situationen dieser Art. Ich winke die
Barista Francesca heran und bestelle noch zwei Espressi.
Pünktlich um eins holt Lidia mich in meinem Büro zur Mittagspause
ab. Wir schlendern ein paar Querstraßen weiter zu einem kleinen, gemütlichen
Bistro mit niedrigen Decken und schummerigem Licht. Wir ergattern das letzte
freie Tischchen gleich neben der Eingangstür, an das wir zu zweit gerade eben
auf zwei Holzschemeln hockend Platz finden. Der Kellner bringt uns Focaccia und
eine Platte gemischten Salat.
»Und? Erzähl mal«, startet Lidia das Gespräch, »wie findest du
Milano?«
Ich fasse kurz zusammen, wie es mir hier ergeht, lasse aber das Markez weg, da ich davon ausgehe, dass ihr der Name der
Disco sowieso nichts sagen wird. Bestimmt ist der einzige Laden, in dem Lidia
in Mailand Musik hört, die Scala. Von der Loge aus.
»Warum ziehst du nach zwei Wochen schon wieder um?«, will sie wissen
und zieht ihre hübsche Stirn in Falten.
»Mir gefällt es besser dort, wo ich jetzt hinziehe«, erkläre ich nur
knapp. »Und du«, will ich wissen, »wo wohnst du eigentlich?«
»Ich lebe mit meinem Mann in seiner Wohnung am Naviglio, die er
geerbt hat.«
»Ach, nette Ecke«, bringe ich Foccaccia kauend hervor. Gratis in
einen der schönsten Ecken Mailands unterzukommen, das würde ich mir auch
gefallen lassen. »Kommt dein Mann aus Mailand?«
»Nein, wir sind beide aus Palermo«, beginnt sie zu erzählen. Ich
höre interessiert zu. »Ich bin vor drei Jahren meinem Mann gefolgt, der von der
Banco di Sicilia hierher versetzt wurde. Wir haben vor einem halben Jahr
geheiratet. Moment«, sie greift nach ihrer Geldbörse, »ich habe ein Foto.«
Halb gerührt über die vertraute Geste, halb neidisch nehme ich ein
Polaroid entgegen, das sie mir über den Tisch reicht. Es zeigt die strahlende
Lidia in einem schulterfreien Brautkleid mit ausladendem Rock neben einem Bild
von Mann im maßgeschneiderten Anzug mit kantigem Gesicht, dunklen, kurzen
Haaren und tiefbraunen Augen.
»Wie schön«, seufze ich und gebe ihr das Foto zurück.
»Und du? Hast du einen fidanzato ? Einen
Freund?«, will sie neugierig wissen.
Habe ich einen? Nach einem Proseccokuss in einer glutenfreien
Pizzeria? »Ich … denke nicht«, antworte ich zögernd.
»Wie? Du weißt es nicht?« Lidia ist sichtlich perplex.
Klar, in solchen Angelegenheiten sind die Fronten in Sizilien
definitiv um einiges klarer abgesteckt als im Rest von Europa.
»Nein«, beeile ich mich zu sagen, »ich weiß es noch nicht genau.«
»Verstehe«, erwidert sie neugierig und versteht sichtlich nicht.
»Was ich hingegen noch nicht ganz kapiert habe«, starte ich, lehne
mich zurück und verschränke die Hände hinter dem Kopf, »ist unsere Arbeit für
Napolone. Was sind denn die nächsten Schritte? Gibt es schon ein
Kundenbriefing? Wie sieht das Timing aus?«
Prima Aufschlag von mir, finde ich. Damit mache ich erstens meinen
verschlafenen Auftritt von heute früh wieder wett und lenke zweitens von meiner
derzeit unklaren Männersituation ab.
Lidia beeilt sich, das Hochzeitsfoto wieder in ihrer Tasche zu
verstauen, und richtet sich auf. »Es gibt praktisch nichts. Keine
Zielgruppenanalyse, kein echtes Briefing, keine Zahlen«, zählt sie auf. »Daher
bin ich sehr froh, dass du gekommen bist, um bei Napolone mitzumachen. Ich
glaube, zusammen können wir den Karren in den nächsten Wochen noch aus dem
Dreck ziehen.«
Ich nicke wichtig. Für interventi –
Aktionen – dieser Art bin ich genau die Richtige. Die Sache verspricht mir Spaß
zu machen.
6.
Die Woche vergeht wie im Flug. Lidia und ich stürzen uns
in gemeinsamer Mission in die Arbeit für Napolone. Ich lese mich in zig Studien
über den italienischen Kaffeemarkt ein, erstelle Zielgruppenprofile und mache
mich über die Unmengen an Kaffeemarken schlau, die von den Alpen bis weit
hinter die Stiefelspitze um die italienischen Kaffeetrinker buhlen. Dabei
arbeite ich meist bis spätabends und höre Renato nur ab und an am Telefon.
Die Zusammenarbeit mit Lidia läuft gut und wir kommen schrittweise
voran. Beide versuchen wir hyperprofessionell und immer ein Stück weit besser
zu sein als die andere. Trotz allem ist unser Verhältnis freundlich, und wir
spielen uns die Bälle perfekt zu.
Lidia ist zuvorkommend, präzise und schnell, in manchen Situationen
allerdings sizilianisch verschlossen und äußerst hierarchiebedacht, was mich
manchmal nervt. So ist sie geradezu devot,
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