Cappuccino fatale
hat es endlich geklappt«, freut er sich, setzt sein Glas an
die Lippen und leert es mit einem Zug. So sind sie, die Abstinenten – wehe,
wenn sie loslassen.
Ich tue es ihm gleich und stelle das leere Glas auf den Tisch
zurück. »Was hast du denn dieses Mal anders gemacht, dass sie dich genommen
haben?«, will ich wissen.
»Ich werde neben meinem Schmuck auch einige Skulpturen ausstellen«,
erklärt er mir. »› La Donna Cicciona – Die Mollige‹
nennt sich meine Kollektion dieses Jahr: Frauenskulpturen und Schmuck für
Frauen – eine wunderbare Kombination. Und: Es hat funktioniert. Ich bin drin!«
Renato gibt der Kellnerin erfolgsbeseelt einen Wink und ordert zwei weitere
Gläser Prosecco.
»Du musst unbedingt zu mir in die
Werkstatt kommen«, wendet er sich dann wieder mir zu. »Ich muss dir meine Stücke zeigen.«
Inzwischen leicht beduselt, liege ich fast auf meinem Sitzkissen und
habe den Kopf auf meinem aufgestützten Arm abgelegt. Der Prosecco auf leeren
Magen tut seine Wirkung sofort.
»Hm, heute nicht, es ist schon spät, ich bin müde«, lehne ich ab.
»Aber wenn wir uns das nächste Mal sehen, zeigst du mir deine donne, okay?«, frage ich und schaue ihn verklärt an.
»Ich freue mich schon drauf«, haucht er zurück und rutscht auf
seinem Kissen ein Stück weiter vor.
Ich rieche die Mischung aus Lavendel und Zitrone, die immer näher
kommt, und im nächsten Moment schmecke ich den Prosecco auf Renatos Lippen.
5.
Dummerweise bin ich am nächsten Morgen nicht viel ausgeschlafener
als am Tag zuvor. Außerdem habe ich Flugzeuge im Bauch. Ist es das, was ich mir
unter einer Romanze mit einem rassigen Südländer erträumt habe? Einen in Leinen
verpackten Ökokünstler? Bin ich überhaupt verliebt in ihn oder einfach nur
fasziniert davon, wie anders er ist? Ehrlich gesagt:
Ich weiß es nicht.
Ich nippe an einem Cappuccino, den ich mir, in einen Plastikbecher
abgefüllt, von der Bar an der Ecke mitgebracht habe, und verschanze mich hinter
dem Monitor an meinem Schreibtisch. Es ist gerade erst neun Uhr, die beiden
Streithähne aus meinem Büro sind noch nicht da, und ich beobachte, wie ein
blendend aussehender Kollege nach dem anderen an meiner Tür vorbeihechtet.
Gerade marschiert eine junge Frau in einem dunkelblauen
Bleistiftrock und lila Bluse mit Wasserfallkragen vorbei, schaut in meine Richtung
und bleibt stehen.
»Bist du die neue Deutsche?«, fragt sie freundlich und kommt auf
mich zu. »Herzlich willkommen, ich bin Lidia Massini, die Account Managerin für
Napolone. Gestern war ich nicht in der Agentur, als du hier angefangen hast.«
» Piacere, ich bin Nina Sommer.«
»Gut«, sie mustert mich aufmerksam. »Wir werden eng
zusammenarbeiten, es gibt einiges zu tun bei dem Projekt. Gerade im
Planning-Bereich ist noch nicht viel passiert. Und ohne den fertigen Case von
euch kann ich die Kreation nicht einbriefen«, skizziert sie mir im
Werbefachjargon den Stand der Dinge, was in etwa bedeutet: Wo es kein Fundament
gibt, da kann ich kein Haus bauen.
Ich mustere Lidia unauffällig. Die Kollegin ist mir auf Anhieb
sympathisch, auch wenn ich sie nicht richtig einschätzen kann. Sie scheint mir
eine dieser Töchter aus gutem Hause zu sein, die es mit viel Fleiß und
Disziplin zu etwas bringen wollen. Ich bin beeindruckt, wie wach die Gute schon
so früh am Morgen ist. Und obendrein so dynamisch und elegant, während ich noch
halb schlafend und außerdem unter einem fiesen Bad-Hair-Day leidend an meinem
Pult herumlungere.
Außerdem funkelt, wie ich neidisch feststelle, an ihrer linken Hand
ein mit Steinen verzierter Ehering. Damit wäre sie privat zumindest schon mal
angekommen.
»Hast du Lust, heute mit mir mittagessen zu gehen?«, fährt sie fort.
»Dann könnten wir über die next steps reden. Ich sitze ansonsten nämlich den
ganzen Tag in Meetings.«
Zwar sind mir meine Mittagspausen ungefähr so heilig wie dem Papst
der Sonntag, jedoch sollte ich das nicht schon am zweiten Arbeitstag
durchblicken lassen.
»Ja, gerne«, gebe ich mich daher erfreut und füge noch ein viel zu
verfügbares »Wann passt es dir denn?« hinzu.
Lidia bestellt mich für ein Uhr und rauscht beschwingt davon.
Ich schlürfe weiter meinen Cappuccino und klicke mich durch die paar
Seiten der dürftigen PowerPoint-Präsentation über Napolone, die ein unbekannter
Autor mit unbekanntem Datum zusammengestückelt hat. Inhaltlich gibt sie kaum
mehr her, als dass die Italiener im Allgemeinen gerne Espresso trinken
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