Cappuccino fatale
Künstlerin?«
»Überlebenskünstlerin vielleicht«, lache ich, »ich arbeite in einer
Hamburger Werbeagentur und bin für ein paar Monate an unsere Partneragentur in
Mailand ausgeliehen.«
»Ah, capito, verstehe«, sagt er. »Ich
dachte, du bist vielleicht Schmuckdesignerin. Du hast so einen bestimmten Stil.
Dein Ring ist mir aufgefallen.«
Bestimmter Stil … Ich schaue überrascht an mir herunter. Heute trage
ich blaue Jeans und eine grüne Flatterbluse aus dem Indiashop. Was soll’s –
vielleicht tragen Künstler so was und die Anmache ist ganz originell. Außerdem:
Ich finde den Typen sympathisch.
»Da muss ich dich enttäuschen«, gebe ich daher zurück, »den Ring
habe ich geschenkt bekommen.«
»Ein sehr schönes Stück. Ich sehe so was. Ich bin nämlich Schmuckdesigner.«
»Aha«, sage ich. »Kann man denn davon leben?«, frage ich weiter,
falte die Zeitschrift zusammen und schiebe sie in meine Tasche. Zum Lesen werde
ich wohl nicht mehr kommen, denn an der nächsten Station muss ich aussteigen.
»Ja, es reicht zumindest, um dich auf einen Kaffee einzuladen, wenn
du magst. Ich muss auch an der nächsten Haltestelle raus, ich wohne da.«
Wieder muss ich lachen. Die Art, wie er mit der Tür ins Haus fällt,
gefällt mir und ich sage zu. Wir steigen aus der Bahn und fahren nebeneinander
die Rolltreppe hoch.
»Übrigens, ich heiße Renato«, sagt er und streckt mir seine Hand
hin.
»Ich bin Nina«, schlage ich ein, » piacere, freut mich.«
Oben angekommen, schlendern wir zusammen in Richtung der
Porta Romana an ein paar kleinen Geschäften und zerwühlten Marktständen entlang
und setzen uns in eine Bar direkt an der Straße. In Deutschland hätte ein Café
in dieser Lage kaum eine Überlebenschance. Nie hätte ich in Hamburg einen Fuß
in eine Bar gesetzt, wo Straßenlärm und Abgase direkt zur Tür hereinkommen.
Hier dagegen ist das etwas anderes. Hier hat es Charme und gibt mir das Gefühl,
nichts von dem zu verpassen, was da draußen passiert. Renato bestellt einen
Cappuccino für mich und einen koffeinfreien – ach, so was gibt es hier? – Espresso
für sich.
» Allora «, wendet er sich mir zu, »erzähl
mir von dir. Dich treibt also die Arbeit nach Mailand. Und was machst du sonst
so?«
»Fang du an«, gebe ich zurück. Vielleicht sollte ich wildfremden
Männern nicht gleich meine gesamte Lebensgeschichte auftischen. »Kommst du aus
Mailand?«
»Nein«, gibt er bereitwillig Auskunft, »ich bin in London geboren
und in Turin aufgewachsen. Meine Mutter lebt in England. Meine Eltern haben
sich getrennt, als ich drei war. Als ich meiner Mutter nach der Trennung zu
viel wurde, bin ich zu meinem Vater nach Turin gezogen. Er war dort Professor
für Architektur. Damals war ich fünf.«
»Du bist deiner Mutter zu viel geworden?«, frage ich ungläubig nach.
»Wie geht das denn?«
»Sie war Opernsängerin. Sehr erfolgreich. Anfangs war es schick,
einen kleinen Sohn zu haben, den sie herumzeigen konnte, und sie hat mich
ständig auf ihre Tourneen mitgenommen. Doch irgendwann wollte ich das nicht
mehr. Ich wollte lieber zu Hause bleiben und spielen. Ich habe ihr furchtbare
Szenen gemacht und nur geschrien, einmal sogar in ihrer Garderobe kurz vor
einem Auftritt. Sie hat sich fürchterlich darüber aufgeregt und auf der Bühne
dann sogar ihren Text vergessen. Tja, damit war das süße Vorzeigekind dann
nicht mehr tragbar. Ich musste weg.«
»Oh, das tut mir leid«, sage ich betroffen und fasziniert zugleich.
»Hast du denn heute noch Kontakt zu deiner Mutter?«
»Kaum«, erwidert er knapp. »Manchmal veranstaltet sie irgendwelche
Sommerpartys in ihrem Strandhaus in Brighton, da fahre ich dann aus Höflichkeit
hin. Aber eigentlich habe ich ihr nicht mehr viel zu sagen.«
»Also bist du mehr bei deinem Vater?«, hake ich nach.
»Auch nicht so richtig. Mein Vater hat wieder geheiratet und mit
seiner neuen Frau zwei Kinder bekommen. Da wurde ich bald zum fünften Rad am
Wagen. Als ich mit der Schule fertig war, wollte ich in Mailand Kunstgeschichte
studieren. Da hat mein Vater mir hier eine Wohnung gekauft und damit war ich
aus seiner Sicht gut aufgeräumt.«
»Hm«, stottere ich mitleidig, »das klingt ja etwas einsam …«
»Nein«, erwidert Renato. »Mailand ist meine Familie. Ich liebe diese
Stadt, die Offenheit, die Liebe zur Kunst und zur Mode, die vielen
interessanten Menschen. Alles, was ich brauche, finde ich hier. Und du?«, fragt
er. »Was willst du in Mailand finden?«
»Erst mal
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