Cappuccino fatale
nur ein ruhiges Dach über dem Kopf«, antworte ich und
erzähle ihm meine Geschichte. Ich berichte ihm von meinem Job, den ich in
wenigen Tagen antreten werde, und von der Disco unter meinem Schlafzimmer.
»Du hast dein Bett über dem Markez ?«,
fragt er ungläubig.
»Kennst du den Laden?«
»Wer kennt den nicht? Aber kann man da wohnen? Das muss doch
höllisch laut sein.«
»Genau das ist ja mein Problem.«
Er schüttelt erstaunt den Kopf. »Unglaublich, was die Leute hier mit
den Ausländern machen. Vermieten denen einfach ein Zimmer über der berühmtesten
Disco der Stadt. Aber verstehst du jetzt, was ich meine?«, fügt er hinzu. »Du
kannst in dieser Stadt einfach alles haben.«
»Ja, verstehe ich«, erwidere ich trocken, »dabei wäre mir etwas
weniger lieber.«
»Hm, warte mal«, sagt er und denkt nach, »meine Hausmeisterin sagte
mir neulich, dass ihr Physiotherapeut ein Zimmer vermietet. Sein letzter
Untermieter, ein Japaner, muss nach einem Badewannenfest die halbe Wohnung
unter Wasser gesetzt haben.«
»Oh, das klingt ja wirklich nach frei gewordenem Wohnraum«, freue
ich mich. »Könntest du deine Hausmeisterin bitte mal fragen und vielleicht
einen Kontakt herstellen?«
» Certo , das mache ich«, antwortet er.
»Dafür musst du mir aber deine Telefonnummer geben.« Er grinst mich an.
»Wenn’s weiter nichts ist.« Ich kritzele ihm meine Handynummer und
vorsichtshalber auch die Festnetznummer meiner jetzigen Vermieter auf das
Zuckertütchen, das neben meiner Tasse liegt. »Ich würde mich sehr freuen, von
dir zu hören«, betone ich und lasse offen, ob es mir dabei eher um die Zimmeroption
oder um das Wiedersehen mit Renato geht.
»Ich rufe dich morgen an«, verspricht er, steckt das Tütchen mit
meiner Nummer in sein Portemonnaie und legt das Geld für unsere Getränke auf
den Tisch.
Wir stehen auf und gehen Richtung Ausgang.
»Prima«, sage ich an der Tür, während ich mir meine Jacke
überstreife, »schön, dich kennengelernt zu haben.«
»Unbedingt«, gibt er zurück, »ich melde mich bei dir. Arrivederci .« Er beugt sich vor und gibt mir rechts und
links einen bacio auf die Wange.
Ich winke ihm noch kurz nach und mache mich auf den Weg nach Hause.
2.
Mittlerweile wird es dunkel, während ich den schmuddeligen
Bürgersteig an chinesischen Haushaltswarenläden, zwielichtigen Bars und einer
verlassenen Baustelle vorbei nach Hause marschiere. Achtlos trete ich ein paar
Bierdosen aus dem Weg, springe um zahlreiche Hundehaufen herum und träume vor
mich hin.
Am Montag starte ich endlich meinen Job bei AdOne Milano. AdOne ist
einer der kreativsten und mächtigsten Netzwerkagenturen der Welt, die in fast
allen Ländern der Welt eine Niederlassung hat. Eine davon ist in Hamburg, wo
ich seit drei Jahren beschäftigt bin. Schwer beschäftigt, um genau zu sein, und dabei schwer unterbezahlt. In der Werbung
läuft es nämlich so: Je erfolgreicher eine Agentur ist, desto niedriger werden
die Gehälter. Allein die Ehre, für eine berühmte Agentur und deren fürstliche
Etats schuften zu dürfen, macht jedes Gehalt für die Mitarbeiter auf den
unteren Rängen überflüssig.
So denkt offenbar auch das Management von AdOne und hält meine
Kollegen und mich bei kleinen Lohntüten regelmäßig mit Spontanpartys,
Obstkörben und Sonnenstühlen auf dem Agenturdach bei Laune.
Entsprechend motiviert habe ich mich in den letzten drei Jahren an
unzähligen Tagen, Nächten und Wochenenden so hochgedient, dass ich die
langersehnte Position des Strategic Planners erhalten habe. Da ich mit diesem
Job mehr Verantwortung innehabe, arbeite ich seitdem noch länger als davor. Bei
praktisch gleichbleibendem Gehalt.
Vor einigen Monaten hat AdOne einen neuen Superkunden an Land ziehen
können: Napolone, einen Espressohersteller aus Neapel. Ein Riesenerfolg für
uns. Alle in der Agentur freuten sich wie kleine Kinder. Es gab wieder eine
Spontanparty – diesmal sogar mit Champagner – und am nächsten Morgen stand ein
besonders großer Obstkorb gegen den Kater in der Lobby. Denn auch dieses Credo
gehört zur Werbebranche: Wer feiern kann, der kann am nächsten Tag auch wieder
zwölf Stunden arbeiten.
Und für den neuen Kunden gab es viel zu tun, hatte es die Napolone
Caffè Holding doch bisher mit ihrer Werbung nicht so genau genommen. Alles, was
es gab, waren ein paar Werbefilmchen mit einem leicht verstaubten Schauspieler,
der mehr oder weniger lustige Dinge in seiner Stadt erlebt und dabei – wie
könnte
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