Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Carambole: Ein Roman in zwölf Runden (German Edition)

Carambole: Ein Roman in zwölf Runden (German Edition)

Titel: Carambole: Ein Roman in zwölf Runden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Steiner
Vom Netzwerk:
Boden abzustoßen. Er stellte ihn schnell wieder hin. Keine einzige Spinnwebe hing an den Stielen. Jemand musste diese Sammlung regelmäßig pflegen. Wöchentlich. Oder häufiger. Täglich. Oder häufiger. Igor wirbelte herum. Wer diese Besensammlung regelmäßig pflegte, konnte in jeder Sekunde auftauchen. Igor sah eine schmale Treppe und setzte sich in Bewegung.
    Sein Kopf hob sich über die Holzbohlen. Dunkel war es hier, die Luft aber rein. Er stieg die letzten Stufen hoch. Kleiner Zwischenboden, nicht mehr als ein paar Quadratmeter. Aber auch dieser Raum war nicht leer. Da, an der Wand. Was war das? Schraubzwingen! Alte mit Holzgriff, neue mit Gummiteilen in verschiedenen Farben, winzige und riesige, rote, blaue, schwarze, eckige, u-förmige. Schraubzwingen, Schraubzwingen, dachte er. Jemand sammelte die, aber wer war das nochmal gewesen? Es fiel ihm nicht ein. Die Treppe führte weiter nach oben, Igor folgte der Einladung.
    Sein Gesicht erschien zwischen Heuknäueln und Staubbällen. Noch zwei wacklige Stufen, und schon war er oben. Weit weg sah er hohe Wände. Ritzen zwischen den Holzlatten ließen dünne Lichtscheiben in den Raum dringen. Dies war das Tenn, das kannte er. Hier war er schon einmal gewesen, als Hartmann noch gewirtschaftet hatte. Weiter vorne die Blechrohre des Heugebläses, im Gebälk Bartflechten aus getrocknetem Gras. Er durchquerte den riesigen Raum. Außer dem Gebläse war nichts zu entdecken. An einer Wand stand eine Leiter, die zum Dach führte. Er stellte den Fuß auf die erste Sprosse.
    Seine Hände streckten sich nach dem Dachgebälk, als er oben ankam. Er musste den Kopf einziehen. Heiß war es hier. Er befand sich auf einer Plattform ohne Geländer. Eine große Kiste wartete auf ihn. Sie war voller Stoffknäuel, in allen Farben, blau, weinrot, olivgrün, leuchtgelb. Er griff hinein und zog ein grünes Stück heraus. Ein Arbeitskittel, mit Firmenaufschrift auf der Brust: Baumschule Imfeld. Er griff wieder in die Kiste und zog Hosen, Schürzen und Blaumänner heraus, die meisten mit Aufschrift: Brunner Hochbau, Huber Tiefbau, Schuhmacher Zamboni. Wer war dieser Jemand, der in Hartmanns altem Hof seine Sammlungen pflegte? Und wie oft kam er hierher? Igor linste über den Rand der Plattform. Die Lichtscheiben zogen immer längere Linien über den Boden des Tenns. Kein Laut dort unten. Igor hielt einen der Kittel an die Nase. Wie frisch gewaschen. Er legte alles in die Kiste zurück und stieg die Leiter hinunter. Als er unten angelangt war, hörte er vom Heugebläse her ein Kratzen, dann auch direkt unter seinen Füßen, kurz darauf bei der Treppe, die er heraufgekommen war, noch ein, nein, kein Kratzen, mehr ein Knarren von Holz, als ob etwas Schweres sich unsichtbar durch den Raum bewegte. Igor sah hinter sich eine Luke im Boden, hob sie schnell hoch, stieg ins dunkle Geviert.
    Seine Füße tasteten sich in die Dunkelheit, über ihm senkte sich die Luke. Die linke Hand fuhr über eine körnige Steinmauer, die Rechte wedelte in leerem Raum. Stabile Treppe, nicht das leiseste Knarren war zu hören. Links öffnete sich eine Nische in der Mauer, rechts noch immer Leere. Er ertastete einen Gegenstand in der Nische. Kleine Schatulle aus Blech. Wieder Deckel öffnen, wieder hineinlangen. Kleine Gegenstände. Hart und kühl. Rund und geruchlos. Münzen! Aber nicht alle waren rund, zwei oder drei waren eckig, und eine hatte ein Loch in der Mitte. Ihre Oberflächen fühlten sich unterschiedlich an, manche glatt, andere rau, noch andere schienen rostig zu sein. Er schloss die Schatulle, stieg weiter hinab. Eine hölzerne Wand bremste seine suchenden Hände ab. Er fand eine Klinke, drückte, er war draußen.
    Den Kopf gesenkt, die Hand über den Augen, um sie vor dem Licht zu schützen, ging er los. Grauer Asphalt, schwarzer Asphalt, Grasstreifen, Kies, Granitplatten, wieder grauer Asphalt. Er wusste nicht, wohin er ging, und stand plötzlich vor dem Brunnen. Er blickte hoch.
    »Alle treibt’s zum Wasserloch. Kein Wunder bei dieser Hitze.«
    Es war Schorsch. Er stand ein paar Meter vom Brunnen entfernt.
    »Na, wo sind denn die andern?«
    Igor zuckte mit den Schultern.
    »Wie geht’s deiner Mutter?«, sagte Schorsch und zwinkerte.
    Igor lächelte schwach.
    »Bist nicht grad gesprächig, aber egal. Ich erzähl dir zur Abwechslung eine Geschichte. Hör zu. Vor fünfundzwanzig Jahren, es war nicht lange nach dem Ende der Diktatur, hielt ich mich in Spanien auf, ich war jung und stand voll im Saft

Weitere Kostenlose Bücher