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Carambole: Ein Roman in zwölf Runden (German Edition)

Carambole: Ein Roman in zwölf Runden (German Edition)

Titel: Carambole: Ein Roman in zwölf Runden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Steiner
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zeichnete exotische Heuschrecken ab. Sie gehörten seiner Mutter, aber Manu half ihr, sie zu pflegen. Komische Familie, dachte Igor. Aber sie freuen sich immer, wenn ich klingle. Der Vater, wie er herangewieselt kommt. Ulkig. Doch wie sprach man mit einem Vater? Igor kam bei Manu zu Hause nie über einzelne Wörter hinaus, er sagte immer nur: danke, gut, ja, nein.
    Zweites Snickers. Unter der Kastanie war der Boden fest, dennoch stützte Igor sich am Baumstamm ab. Erst das Gewühl in der Schule, jetzt die Leere. Etwas geschieht, dachte er. Etwas, das längst begonnen hat. Er erinnerte sich an die letzten Wochen und Tage, an die Angst vor den Ferien, Freds Tobsuchtsanfälle unter dem Kirschbaum, das Schweigen, wenn sie unterwegs waren. Ständig hatten sie darauf gewartet, dass etwas geschehe, und jetzt zog es ihm den Boden unter den Füßen weg. Als er das Snickerspapier zerknüllte, sah er eine Bewegung. Weit hinten, abseits der Hauptstraße, in einem der dunklen Fenster, ein Gesicht, eine Hand. War das ein Fernglas in der Hand? War es auf ihn gerichtet? Igor schlitterte davon. Bei Altmüllers Garage flitzte er in den Hof, quetschte sich zwischen Schrottautos durch und stieg in die letzte der Rostlauben, zog die knarzende Tür zu, sank auf dem mattgrauen Polster hinunter. Er atmete tief ein. Und zog das dritte Snickers aus der Hosentasche.
    Auf dem Lenkrad prangte ein silberglänzendes Viereck, das die Buchstabenfolge » NSU « umschloss, der Tacho ging bis 200 km/h, anstelle des Autoradios klaffte ein Loch im Armaturenbrett. Igor drückte das Gaspedal durch, nichts passierte. Er stopfte das Snickerspapier zwischen Sitzfläche und Rückenlehne und fand, er könnte problemlos nochmals drei Snickers essen. Dann hob er den Kopf zum Rand des Seitenfensters. Eine Katze stand neben dem Auto und leckte sich das Fell. Wieder kam ihm seine Mutter in den Sinn. Hatte sie bereits begonnen, sich die Haare zu raufen, weil er nicht auftauchte? Würden einmal mehr ganze Büschel in der Wohnung herumliegen, wenn er nach Hause kam? Die Katze schlich unter einen grasgrünen Wagen. »Ford Granada 2.3 V6« stand auf seinem Heck, daneben prangte ein Aufkleber, der gelb-blau »Auf und Davos!« verkündete. Kaum war die Katze verschwunden, erblickte er in einem der Autos ganz vorne zwei Menschen. Sie schaukelten auf den Sitzen herum, boxten sich und verschwanden hinter den Kopfstützen. Er lugte über das Lenkrad und erkannte sofort, warum er sie nicht mehr sah. Zehn Meter von ihm entfernt stand Altmüller. Igor glitt auf dem Polster in die Tiefe.
    Er hatte keine Angst vor Altmüller, aber er wollte lieber nicht entdeckt werden. Überhaupt mochte er jetzt niemandem begegnen. Nicht einmal Fred und Manu, wenn er ehrlich war. War auch Fred aus Angst vor den Ferien abgetaucht? Wäre ihm zuzutrauen.
    Igor streckte vorsichtig den Kopf in die Höhe. Altmüller war weg, die Gestalten im anderen Wagen auch. Bloß die Katze war wieder da und schnupperte an einem vermoosten Reifen. Igor stieg aus. Wie auf dickflüssiger Lava taumelte er durch das Dorf, zwischendurch machte er Pause und hielt sich an einer Hausmauer fest. Wohin? Nicht zum Brunnen, dachte er, nicht zur Hirscheneck. Er taumelte weiter. Als er bei Hartmanns altem Hof anlangte, tauchte unten an der Straße ein Auto auf. Igor sah die Schachbrettbalken und den roten Wimpel. Er wich zurück, drückte die nächstbeste Tür ein. Er schlug die Tür zu, das Auto raste vorbei.
    Finsternis. In den Ohren ein Gefühl, als ob jeglicher Schall aus diesem Raum verbannt worden wäre. Langsam gewöhnten sich seine Augen an die Dunkelheit. Er war in Hartmanns ausgedientem Stall. In den Ecken lagen Strohhäufelchen, der Boden war da und dort mit brauner Kruste bedeckt. Igor ging auf das Gestänge zu, in das die Kühe ihre Köpfe gesteckt hatten, um zu fressen. Dahinter sah er Luken, die in einen größeren Raum führten. Konnte man da hindurchklettern?
    Erst tauchten seine Arme in der Öffnung auf, dann der Kopf und schließlich der ganze Rest von ihm. Er fiel direkt in einen miefigen Heuhaufen. Dieser Raum war größer. Hier hatte Hartmann das frisch gemähte Gras abgeladen. An einer Wand lag Gerümpel herum. Igor machte ein paar Schritte darauf zu. Nein, kein Gerümpel, sondern Dutzende von Besen, alle säuberlich aufgereiht. Reisigbesen, Staubbesen, grobe Borstenbesen, Schrubber. Igor nahm einen in die Hand und ertappte sich bei dem Gedanken, ihn zwischen die Beine zu nehmen und sich mit einem Satz vom

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