Carambole: Ein Roman in zwölf Runden (German Edition)
aus, dieselben Gemüse indisch gewürzt oder im Wok nach Thai-Art. Gelobt wurde ich dafür nicht. Aber das war mir egal. Dass Magda unseren gemeinsamen Entschluss mittrug, war mir Lob genug.
Ich sehe die Zeit, als unsere kleine Familiendecke noch ganz neu war. Es war jene Zeit, in der wir mit schüchternen Worten und verlegenen Blicken etwas Großes zu knüpfen versuchten. Ich sehe den Anfang unserer Beziehung. Schwach, aber ich sehe ihn.
Was hatte uns einander zugetrieben, damals? Welche Kontinentaldrift war im Spiel gewesen? Ich verstand unsere Verbindung nicht und hatte dennoch endloses Vertrauen in sie. Ich hatte mich in Magdas Hände verliebt, die ständig in Bewegung waren, ihre selbstbewusste Weigerung, den Menschen zu gefallen, und auch in die Art, wie sie die Hüften wiegte. Wenn ich sie gefragt hatte, was sie an mir mochte, hatte sie geantwortet: »Weiß nicht. Alles halt.« Dann hatte sie leise gekichert und ihren Blick abgewandt.
Schnell rückte unser erster Anfang in die Ferne. Doch mein Glaube, sie zu erreichen, eine Stelle in ihr zu finden, die auf meine Berührung reagierte, ließ nicht nach. Ständig beobachtete ich sie, denn ich wollte sie verstehen, und sah zugleich so vieles nicht. Ihre Blicke, die immer darauf abzielten, das Gegenüber vom Sprechen abzuhalten. Ihre Hände, die das Schweigen in flatterhafter Luftakrobatik überspielten. Und viel später, als alle Anfänge weit hinter uns lagen, auch da sah ich nicht, wie sie stumm von sich erzählte.
Ich weiß nicht, wann sie angefangen hatte, ihn herumzutragen. Er war im zweiten Kindergartenjahr, und seine Füße bekamen kaum mehr Kontakt zum Boden. Sie trug ihn vom Bett auf die Kloschüssel, von der Kloschüssel auf die Bank im Flur, von der Bank auf den Fahrradkindersitz. Manchmal sagte ich zu ihm: »Komm her, mein Sohn!« Er sah mich wortlos an und wurde im gleichen Moment abermals aufgehoben, flog mit baumelnden Beinen davon.
Als er in die erste Klasse kam, begann ich, nachmittags an der großen Treppe vor dem Schulhaus auf ihn zu warten. Wenn er in der Schülerschar auftauchte, winkte ich ihn zu mir, und schon waren wir davon. Fortgetragen von flinken Beinen, mein Sohn und ich, in unsere Welt voller Einfalt. Aus der Luft sah man uns als winzige Gestalten im Ornament meiner Gartenbeete. Wir lernten, indem wir uns über das Geschehen bückten, es von Nahem verfolgten, es auseinanderzupften. Wir lernten, ohne nachzudenken.
Doch bald fing sie an, ihn vor mir abzufangen. Oft verpasste ich es, überhaupt an der Treppe aufzutauchen. Sep war nicht lange geblieben, und ich arbeitete wieder allein. Mehrere Vorhaben – Hühnerhaltung, ein größeres Gewächshaus, ein Kühlkeller – waren gescheitert. Ich hatte kein Talent für Großes, meine Stärken lagen im Kleinen, in der einfachen Gartenlandwirtschaft. Ich rackerte und stellte alle meine Bedürfnisse zurück.
Als er in die zweite Klasse kam, hatte Magda ihr Kichern längst begraben, ab und zu nickte sie noch auf meine Fragen, meistens schüttelte sie den Kopf und hob den Jungen hoch, obschon sie ihn fast nicht mehr tragen konnte. Ich wusste genau, was mich damals zu ihr getrieben hatte, aber ich hatte noch immer nicht herausgefunden, was es bei ihr gewesen war. Wusste nach wie vor nicht, warum sie sich damals dafür entschieden hatte, Teil eines gemeinsamen Anfangs zu sein. Nun lag er weit zurück, und Magda hatte Weiterbildungen absolviert und eine neue Stelle an einer Schule gefunden. Zu Hause angekommen, badete sie unseren Sohn, kleidete ihn frisch an, trug ihn in sein Zimmer, setzte ihn an sein Tischchen, fuhr mit beiden Zeigefingern in seinem Aufgabenheft herum, dann trug sie ihn ins Wohnzimmer, hantierte in der Küche, fütterte ihn. Er machte alles richtig, denn er konnte nicht anders. Seine Schülerhände schwebten über den Schülerheften und schrieben die richtigen Lösungen auf, er las ausgewählte Bücher, die von selbst heransegelten und auf seinem Schoß landeten. Und Magda schaffte es, neben ihrer Mutternummer und der Arbeit immer neue Weiterbildungen anzufangen. Kurse, Seminare, Workshops, eine einzige Wut.
Überall Anfänge. Ich sehe sie alle, doch nichts wird deutlicher. Sie zeigen so vieles und verdecken noch viel mehr. Vielleicht muss ich jenen Blick wagen, den ich bis jetzt vermieden habe. Den Blick auf das Ende. Unser Ende. Es folgt direkt auf die Mitte.
Ich wusste, dass der Tag kommen würde. Und er kam. Es war ein lauer Frühlingstag, Bienensummen im
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