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Carambole: Ein Roman in zwölf Runden (German Edition)

Carambole: Ein Roman in zwölf Runden (German Edition)

Titel: Carambole: Ein Roman in zwölf Runden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Steiner
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jedes Mal stand die Bekannte bereits auf der Straße, aber Magda war nie da und mein Sohn auch nicht. Magda sei eigentlich fast nie zu Hause, die Arbeit und alles, ich wisse schon, aber sie würde ihr ausrichten, dass ich da gewesen sei und Madga würde sich schon bei mir melden, wenn sie das denn wünsche. Ich sagte: »Wissen Sie, mein Sohn …« Sie nickte und sagte: »Ja, Ihr Sohn, ich weiß, ich weiß. Ach, Ihr Sohn …« Und sie seufzte und seufzte, bis ich nicht mehr wusste, was ich hatte sagen wollen. Und schon kam wieder der Sozialarbeiternachbar hinzu und ich erklomm mein Fahrrad, das mittlerweile so hoch wie ein Funkturm war.
    Erst spät fiel mir die Schule ein. Lehrerin Notz, dachte ich, sie würde mit mir reden. Als ich himmelhoch zu Rad auf dem Pausenplatz auftauchte, stand da jemand und winkte mir zu. Es war nicht Frau Notz, sondern Herr Wiesendanger, der schon seit Urzeiten an der Schule unterrichtete. Hatte jemand mich angekündigt? Ich stieg ab. Nein, mein Sohn sei nicht mehr da, sagte er und sah händeringend auf mich hinunter. Ja, alle seine Sachen hätte die Mutter mitgenommen. Ja, im Bezirkshauptort, den Namen der Lehrerin wisse er nicht. Es tue ihm leid.
    Auf meinem schwindelerregenden Zweirad rollte ich über das Land. Jedes Mal, wenn ich abstieg, schrumpfte ich auf Hosentaschenformat zusammen. Überall wurde ich von herzlichen Menschen empfangen, die sich mit mitleidsvollem Blick zu mir hinabbückten, zahllose Einladungen zum Kaffee wurden ausgesprochen. Tage vergingen innerhalb weniger Stunden, schon war es wieder Nacht, und ich schlitterte durch Traumlandschaften voller Fallen und falscher Abzweigungen, griff nach meinem Sohn und verpasste ihn erneut. Und bereits war es wieder Tag, und wieder Nacht, und Tag, Nacht, Tag.
    Ein Anwalt tauchte auf. Er trat in die Küche, stellte seine Mappe auf den Herd und sagte: »Ich komme in guten Absichten.« Dann begann er, mir von seinen Absichten zu erzählen. Magda, unser Sohn, die elterliche Sorge, die Schule, der kindliche Wunsch nach Geborgenheit und so weiter. Er zog die zwingenden Schlüsse für uns alle und schloss mit dem Satz: »Wir haben doch alle nur gute Absichten, nicht wahr?« Ich fand das nicht richtig, da musste etwas ganz und gar falsch laufen, aber ich hatte keine Ahnung, was ich sagen sollte und durfte. Magda und ich waren nicht verheiratet, wir hatten das nie erwägt und ich selber hatte mir kein einziges Mal Gedanken darüber gemacht, dass dies eines Tages ein Nachteil für mich sein könnte. Ich schwieg, der Anwalt zählte meine Möglichkeiten auf und sagte mir, welche von den Möglichkeiten ich gar nicht erst in Betracht ziehen sollte, weil das nur Scheinmöglichkeiten wären, und welche der reellen Möglichkeiten die beste für mich wäre, und übrigens sei er sich bewusst, er habe es so häufig erlebt, dass die Väter hilflos seien und impulsiv agieren würden, aber am Schluss müsse es dem Kind gutgehen, alles andere habe keinen Sinn, und das würde ich doch verstehen. Als ich in der Tür stand und ihm nachschaute, kam es mir vor, als ob seine Schultern sanft wackelten. Lachte er über mich?
    Ich gab mir Mühe. Ich wollte es wirklich verstehen. Ich wollte auch wissen, was diese sieben Jahre und vierzig Wochen gewesen waren und wo der Plan sich versteckte, der für mein weiteres Leben vorgesehen war. Als Däumling stellte ich mich auf den Dorfplatz und schaute den Menschen nach, beobachtete sie, denn ich wollte wissen, wie sie ihre Geschichten angefangen hatten. Sie gingen an mir vorbei, ohne mich zu beachten. Ich setzte mich auf einsame Bänke und versuchte über mich und über die anderen nachzudenken, aber das Denken wollte nicht einsetzen.
    An einem dieser Tage, die wie kurze Wetterleuchten zwischen den Nächten aufblitzten, stand ich vor der Gemeindebibliothek. Es war später Nachmittag, ich sah das warme Licht in den Fenstern. Ich trat ein, wandelte zwischen schokoladebraun gebeizten Regalen und griff die Bücher wahllos heraus. Ein Bücherstapel neben der Schaumgummimatratze wird das Toben der Nacht besänftigen, dachte ich. An der Ausleihe füllte ich ein Formular aus, streckte es zur Thekenkante hoch. Eine Hand erschien und schnappte das Formular. Kurz darauf tauchte sie wieder auf und ließ ein Stück Karton hinunterfallen. Ich hob es auf. Es war mein neuer Bibliotheksausweis. Ich trug die Bücherstapel nach Hause, türmte sie fein säuberlich neben der Matratze auf. Die nächsten Tage stöberte ich in den Wühlkisten

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