Caras Gabe
Glas warf und die Skulpturen zum Leuchten brachte, doch seine Quelle wollte sich mir nicht erschließen. Es war, als würde der Schein dem Glas innewohnen.
Die Skulpturen wirkten, als habe sie jemand von einer Sekunde auf die andere erfasst und eingefroren. Lachende Kinder, ein Mädchen mit wehendem Haar, das über eine Wiese lief, eine junge Frau, ihre Hände gefaltet und das Gesicht zum Himmel erhoben. Eine Gruppe Männer, die andächtig beieinander standen, eine strickende Frau mit Sorgenfalten, ein Mann mit krausem Bart und entschlossenem Blick, ein Junge, dessen Züge vor Schmerzen verzerrt waren. Er schrie. Mein Herz schlug schneller. Selbst er war herrlich anzusehen in seinem Leid.
Wie verzaubert schritt ich zwischen den Figuren umher, bis ich nicht mehr widerstehen konnte. Sie waren so schön, dass ich sie berühren musste. Zaghaft, beinahe ängstlich, streckte ich eine Hand nach einer singenden Frau aus. Sie fühlte sich warm an, unendlich glatt und – erschrocken zog ich meine Finger zurück. Rote Schlieren zeichneten sich auf dem sonst makellosen Leuchten ab. Ich hatte das Glas mit meinem Blut besudelt.
„Sind sie nicht wunderschön?“
Erschrocken sprang ich zurück und stieß gegen eine andere Statue. Sie wankte, stürzte um, und zerschlug mit lautem Getöse zu hunderten Splittern, die in alle Richtungen rutschten, wie ausgeschüttete, tote Fische. Vorwurfsvoll starrten die Scherben zu mir empor.
„Kannst du denn nur zerstören!“, schmetterte die Stimme erbost. Sie schien von überall zu kommen, hallte begleitet von unzähligen Echos durch den Gläserwald. Ich drehte mich um meine eigene Achse, doch ich musste ihn nicht sehen, um zu wissen, dass Marmon mich gefunden hatte.
Ich hob das Schwert über meinen Kopf. „Es gefällt dir also nicht, wenn ich sie zerstöre“, rief ich und ließ die Klinge auf die nächstbeste Skulptur sausen. Bevor sie ganz zerfallen war, stieß ich bereits nach der nächsten und nächsten. Durch den Scherbentaumel hindurch hörte ich ihn schreien.
Ich wollte, dass er zu mir kam und mich angriff, mit all seiner Wut. Ich wollte sein Werk zerstören, jede einzelne Skulptur. Plötzlich schwebte mein Schwert vor der Kehle des kleinen Jungen. Ich zitterte. Auch wenn es nur eine verdammte Statue war – ihm konnte ich nicht schaden. Mein Halbbruder wäre so alt, wenn Arane ihn nicht...
„Bitte, Cara“, tönte die körperlose Stimme. Er klang tatsächlich verzweifelt. „Halte ein. Wir werden reden, nur hör auf sie zu zerschlagen.“
Ich senkte das Schwert. „Ich bin gekommen, um dich zu töten, nicht um zu reden.“
Für den Bruchteil einer Sekunde erschien Marmons Spiegelung in der gläsernen Gestalt des Jungen.
„Du kannst mich nicht töten, Kind“, erklang seine Stimme hinter mir. Ich fuhr herum, doch da war nichts, außer Spiegelungen in den Scherben zu meinen Füßen. Ich trat danach.
Marmon lachte. „Ich beobachte die Menschen schon so lange. Ihre Geschichten faszinieren mich.“
Ich stolperte rückwärts und stieß mit dem Kopf gegen eine kleine Menschenfigur mit Flügeln, die an einem seidenen Faden von der Decke baumelte. Durch mich angestoßen flog sie wild umher. Ich musste ihr hastig ausweichen, damit sie mir nicht gegen die Stirn schlug.
„Meine Kinder“, rief Marmon begeistert. „Sie schweben für mich durch die Welt und kehren zurück mit Geschichten und reicher an Erfahrung. Lurian wusste mich am besten zu unterhalten. Ich vermisse seine Stimme schon viel zu lange.“
Ich hörte ihn seufzen, dann flackerte seine Erscheinung am Rande des Raumes auf.
„Folge mir in meinen Thronsaal“, sagte er und winkte fröhlich.
Schnellen Schrittes setzte ich ihm nach. Der Thronsaal war eine längliche Halle, die von demselben bläulichen Licht erstrahlte wie der Glasgarten. An ihrem Ende ragte ein Felsgebilde wie ein Thron aus dem Boden. Darüber waren Decken, Teppiche und Kissen drapiert, überhaupt war der ganze Boden mit übergroßen Kissen und flauschigen Teppichen bedeckt.
Nun, da ich die Schwelle zum Thronsaal überschritten hatte, sah ich Marmon ganz deutlich vor mir. Mal schritt er gemessen, mal hüpfte er ausgelassen zwischen den plüschigen Kissen und Decken hindurch. Ich war vollkommen irritiert.
Niemals hätte ich mir diesen Mann so vorgestellt. Jemand, der die Lichtträger erschaffen hatte und durch sie Moorwin unter seine Herrschaft zu zwingen versuchte, der unter Vortäuschung einer Religion, eines Glaubens, Regeln erfand und die
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