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Caras Gabe

Caras Gabe

Titel: Caras Gabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maya Trélov
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Menschen zu Unterwürfigkeit und Feigheit erzog, hüpfte nicht derart umher. Ich war hergekommen, um ihn zu erschlagen, und nicht, um mir anzusehen, dass der Geist dieses alten Mannes ebenso verzerrt war wie sein Spiegelbild.
    Marmon hatte seinen Thron erreicht. Er drehte sich zu mir um und wies auf eines der unzähligen Kissen. „Setz dich“, rief er freundlich. „Setz dich zu mir und erzähle mir von deinen Taten. Erzähl mir alles. Wie hat es gerochen in Rosanas Haus? Ich konnte dich nicht sehen, als du bei den Alten warst. Wie ist es dort? Oh, und sag mir, wie es sich anfühlt, einen Dämon zu lieben. Ich will alles wissen. Erzähl mir von deiner Reise.“
    Langsam schritt ich durch die Halle auf ihn zu. Meine Augen konnten seine Gestalt nicht verlassen. Einmal war in unserem Dorf ein Kalb mit zwei Köpfen geboren worden. Natürlich hatte man es fast augenblicklich verbrannt und den Bauern und seine Familie gleich mit ihm, dennoch hatten wir Dorfbewohner viel Zeit damit verbracht, das missgestaltete Tier anzuglotzen. So wie dieses arme Kalb starrte ich nun Marmon an.
    Er hatte sich auf seinem Thron platziert und schaute neugierig zurück. Als ihm klar wurde, dass ich nicht antworten würde, wackelte er verstimmt mit dem Kopf. „Zier dicht nicht“, sagte er mit sanftem Tadel. „Ich höre hier oben immer die gleichen Geschichten. Tod, Verbrennung, Zerstörung.“ Er lehnte sich weit vor. „Wie hat es sich angefühlt, den Dämon zu lieben?“, rief er freudig. „Erzähl mir davon.“
    Ungläubig schüttelte ich den Kopf. „Kein Wort. Niemals. Nichts wirst du von mir hören.“
    Marmon nagte an einem Fingernagel. „Du bleibst also stur“, brummte er. „Das macht nichts. Wir haben viel Zeit.“
    Ich konnte nichts tun, als immerzu meinen Kopf zu schütteln. Was war Marmon nur für ein Mensch? War er noch menschlich? Weshalb dieser Hunger nach Geschichten, nach Berichten und Gefühlen anderer?
    Ich erwartete weitere Fragen, doch stattdessen sprang er von seinem Thron auf und winkte mir erneut ihm zu folgen. Diesmal war aller kindlicher Übermut aus seinem Gehabe verschwunden und hatte Platz für etwas gemacht, das ich viel eher an ihm erwartet hatte: Verschlagenheit.
    „Komm mit“, rief er und umrundete das Throngebilde. „Ich werde dir etwas zeigen.“
    Mit zögerlichen Schritten stolperte ich ihm hinterher. Ich warf einen kurzen Blick zurück und bemerkte, dass ich blutige Fußabdrücke auf den bläulichen Quadratfliesen hinterließ. Im Laufen horchte ich auf Sowanje. Ich spürte nur ein leichtes Ziehen, das in die Richtung wies, in der Marmon verschwunden war, doch ob es ihm galt oder dem, das er mir zeigen wollte, konnte ich nicht erraten.
    Ich umrundete den Thron in banger Erwartung. Was hätte ich in diesem Moment nur für Aruns Ratschlag oder sogar seine Anwesenheit gegeben. Ich straffte die Schultern. Zumindest hätte der Varuh mich angemahnt misstrauisch und wachsam zu bleiben.
    Hinter dem Thron erwartete mich ein kleiner Durchgang. Ich sah gerade noch, wie Marmons Umhang hindurchwischte. Vorsichtig pirschte ich näher heran und spähte durch die Öffnung.
    Eine weitere Halle aus Stein erwartete mich, bläulich erleuchtet, mit wabernden Trugbildern an der Decke, die mir endgültig das Gefühl gaben, unter Wasser zu sein. Hier waren alle Glaskunstwerke des Verrückten makellos geformte Kugeln.
    Mit einem mulmigen Gefühl betrat ich den Raum. Sie umstanden mich, dicht wie ein leuchtender Wald, auf verzierten Säulen und hohen Eisenstäben. Marmon stand mitten unter ihnen und reckte mit geschlossenen Augen den Kopf nach allen Seiten, wie jemand, der seit Tagen die Sonne vermisst hatte.
    Ich blieb am Eingang der Alptraumlandschaft stehen. „Gib mir einen Grund, sie nicht zu zerschlagen, alter Mann.“
    Marmon machte nicht den Anschein, als habe er mich gehört. Er drehte sich einmal im Kreis und strich dann mit den Fingern zärtlich über eine der Glaskugeln. So langsam begann ich dieses Material zu hassen.
    „Die Nacht ist schlecht“, sinnierte er in einer Art Singsang. „Ich kann bei Nacht nichts sehen. Meine Glaskugeln brauchen das Licht, um Bilder für mich einzufangen. Ebenso meine Spiegel. Deshalb habe ich Lurian die Gabe des Feuers geschenkt. Damit er für mich die Nacht erhellt.“
    Der verträumte Ausdruck auf Marmons Gesicht passte nicht dorthin. Er passte zu einem jungen Mädchen, das an ihren Geliebten dachte, aber nicht in die runzligen Züge eines alten Mannes. Mir wurde übel.

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