Caras Gabe
mein Umhang gewesen, sie hatten mich geschützt.
Mit aufeinandergepressten Lippen drehte ich mich um und starrte auf das Wasser des Teiches. Ein spitzes Gesicht mit geröteten Wangen und Stoppelhaaren waberte im Spiegel des Teiches. Die Reste meines Haares schwammen darauf, bis nach und nach auch sie versanken. Ich streckte eine Hand aus und ließ die Wasseroberfläche zittern.
„Diese Person kenne ich nicht.“ Ein tiefer Seufzer drang aus meiner Brust. „Kennst du sie?“
Arun lehnte sich einige Schritte von mir entfernt an einen Felsen, kreuzte die Arme vor der Brust und betrachtete mich mit schräg gelegtem Kopf. „Du siehst aus wie einer der Kobolde, die in den nördlichen Eichen wohnen.“
„Kobolde?“, fragte ich erstaunt und überlegte. „Haben die Viecher Krallen?“
Seine Zähne blitzten auf. „Sie sind klein, aber ebenso bösartig und flink.“
Ich rubbelte mir durch die Haare, bis sie zu Berge standen. „Gut.“ Mein Blick wurde von Aruns Umhang abgelenkt, der durch einen Windstoß aufflatterte. Ich fröstelte.
„Heute ist ein Lichtträger in unserer Kirche erschienen.“
Arun erstarrte zu absoluter Reglosigkeit. „Ja“, sagte er tonlos.
„Der Lichtträger hat verkündet, dass einer von uns die Priesterweihe erhalten soll. Aufstieg nennen sie es.“ Ich schüttelte den Kopf. „Ihn anzusehen war, als würde mich die Sonne aufspießen.“ Ich schlug mit meiner Faust auf meine Brust und schaute zu Boden. „Mitten ins Herz.“
Als ich den Kopf wieder hob, kniete Arun direkt vor mir. Seine Finger tasteten nach meiner Wange, doch er berührte mich nicht. „Weshalb?“
Ich hatte den Eindruck, er stelle die Frage sich selbst und nicht mir, und so antwortete ich nicht. Ich hob die Schultern und sah mich um. „Wo sind wir hier?“, fragte ich nach einer Weile des Schweigens, in der nur der Wind in den Bäumen und das Rauschen des Wasserfalls zu hören gewesen war.
„Sie wollte dich treffen“, sagte Arun.
Ich runzelte die Stirn. „Wer?“
Er nahm meine Hand und führte mich ein Stück vom Teich weg. Dann zeigte er auf den Wasserfall. „Sie.“
Angestrengt starrte ich in die Richtung, in die er gewiesen hatte. „Aber da ist niem–“
Ein silbernes Glimmen hinter den fallenden Wassermassen ließ mich verstummen. Es war ein kaltes Glühen, ähnlich dem der Sterne und des Mondes über uns. Neben mir glitt Arun auf ein Knie und senkte den Kopf in einer Geste absoluten Respekts.
Verdattert schaute ich auf ihn nieder und als ich den Blick wieder zum Wasserfall hob, trat eine von strahlendem Licht erfüllte Gestalt daraus hervor. Sie trug ein seidenweiches Kleid, ihr Haar reichte bis auf den Boden und strahle wie der Mondschein. Sie besaß den feinen Knochenbau und das unschuldige Gesicht eines Kindes, doch ihre Augen waren tintenschwarz und viel zu weise, als dass man sie für ein Kind hätte halten können. Diese Augen hatten Jahrhunderte gesehen.
„Ich bin das Blut der Unschuldigen“, sagte sie und ich hörte jedes Wort, obwohl sich ihre Lippen nicht bewegten.
„Man nennt mich Evaja, die Mondgöttin“, klang es in meinem Kopf, eine Stimme, die alt und jung zugleich war.
Meine Beine zitterten, doch ich wollte nicht knien. Arun erhob sich geschmeidig. Ich spürte seine Hand auf meinem Rücken. Er nickte mir aufmunternd zu und dann schob er mit sanftem Druck, bis ich einen Schritt nach vorne machte.
„Ich bin Cara“, brachte ich aus trockener Kehle hervor.
Die Mondgöttin lächelte und es sah traurig aus. „Ich weiß“, hörte ich sie. „Bitte, ich möchte dir etwas zeigen.“
Sie bewegte sich mit einer überirdischen Eleganz und so schien es, als schwebe die über die frostüberzogenen Steine zum Teich hin. Er lag absolut still da, kein Tropfen und kein Zittern durchbrach seine makellose Oberfläche. Evaja kniete sich davor und deutete mit ihrer strahlenden Kinderhand darauf.
„Sieh hin“, erklang ihre Stimme.
Mit einem letzten Blick auf Arun tat ich, wie sie geheißen hatte, und beugte mich auf der anderen Seite des kleinen Teiches über das Wasser. Es erschien mir schwarz und ölig und unendlich tief wie mein Wunschbrunnen.
„Ein Tropfen deines Blutes ist nötig“, hörte ich Evajas Stimme, „damit ich ihn dir zeigen kann.“
Mein Herz begann heftig zu schlagen, mit wilden Augen starrte ich sie an. Sprach sie von meinem Vater? Doch Evaja sah nicht mich an, sondern auf das Wasser, ihre Augen ebenso dunkel und endlos.
Stoff raschelte, als Arun sich neben mir
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